Die Stille in der S-Bahn

SCHWEIGEN 2 Gedenken in Hamburg und Leipzig

HAMBURG/LEIPZIG taz | Mit einem lauten Zischen kündigt die Hamburger S-Bahn ihr Verbleiben in der Station an. Dann schallt es aus dem Lautsprecher: „Wir bitten um ihre Aufmerksamkeit: Bundesweit findet heute eine Schweigeminute im Gedenken an die Opfer rechtsextremistischer Gewalt statt. Wir bitten unsere Fahrgäste, ebenfalls der Opfer zu gedenken.“

Eine ältere Frau schiebt den Ärmel ihrer Jacke hoch. Sie spitzt die Lippen und lässt das Kleidungsstück zurück über die Uhr gleiten. Eine sonderbare Stille tritt ein. Der Motor der S-Bahn atmet leise weiter. Die Rolltreppe läuft aus, bleibt stehen.

Ein hagerer Mann in schwarzem Anzug wippt mit seinem Fuß auf und ab. Er wischt sich mit der flachen Hand über die Stirn. Die Frau mit der Uhr starrt regungslos geradeaus, die Arme liegen gekreuzt über ihrer Handtasche. Fünfundvierzig, sechsundvierzig. Gleich geht es weiter. Ein lautes Zischen.

Ein junger Mann schaut dösig hoch, zieht die Stirn in Falten. Die Türen piepen schrill auf. „Nächste Haltestelle Stadtbaumbrücke“, verkündet der Lautsprecher. Der Junge legt seinen Kopf zurück und schließt die Augen.

Metaller in Leipzig

Auch die Stadt Leipzig folgt dem Aufruf zum Gedenken an die Opfer rechtsextremistischer Gewalt. Die Pressestelle der Stadt hatte angekündigt, den Staatsakt im Rathaus live zu übertragen. Um kurz vor zwölf hat sich aber nur eine Handvoll Pressevertreterinnen in das Foyer verirrt. Die Damen an der Information wissen von nichts. Während der Schweigeminute sind sie damit beschäftigt, hier und dort anzurufen, um die Sache freundlicherweise aufzuklären.

Währenddessen haben sich etwa 150 Personen auf dem Marktplatz um ein Transparent der IG Metall versammelt. „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“, steht darauf. Ein Großteil der Anwesenden gehört zur Tarifkommission der IG Metall, die gerade hier tagt. IG-Metall-Bezirksleiter Hövel mahnt, das „weltoffene Deutschland“ müsse Menschen aus anderen Ländern willkommen heißen, wenn man möchte, dass deutsche Güter und Kollegen im Ausland freundlich aufgenommen werden. Die Kundgebung beendet er schnörkellos gegen 12.15 Uhr mit den Worten: „Die Tarifkommission geht jetzt zum Mittagessen“. E. F. KAEDING, JENNIFER STANGE