Schritt für Schritt ins Paradies

Größtmögliche Zurückhaltung bei den Demonstrationen, schneller Zugriff bei Ausschreitungen. Die Polizei hofft, mit ihrer Taktik einen kleinen Schritt Richtung friedlicher 1. Mai voranzukommen

VON PLUTONIA PLARRE

Es ist sein dritter 1. Mai als Polizeipräsident von Berlin. Und jedes Mal, so hat es den Anschein, rückt Dieter Glietsch dem Ziel ein bisschen näher, dass auf Kreuzbergs Straßen nach 17 Jahren Mai-Krawallen in Folge endlich Frieden einkehrt. Nach seiner Prognose für den Verlauf des bevorstehenden Festtags befragt, antwortet der Polizeichef ganz offen: „Ich habe die Hoffnung, dass wir wieder einen Schritt weiterkommen.“

So vermessen, die Erfolge der letzten beiden Jahre allein der Polizei an die Brust zu heften, ist Glietsch indes nicht. Ohne das von einem Kreuzberger Netzwerk initiierte „MyFest“, zu dem jedes Mal mehr als 20.000 Besucher gekommen sind, wäre die Polizei auch bei größter Zurückhaltung nicht dorthin gekommen, wo sie heute steht. Im Vorjahr ist der in der Bevölkerung eingetretene Stimmungswandel sogar erstmals in der Form deutlich geworden, dass Anwohner in Richtung Steine werfender Kids „Haut ab, haut ab!“ skandierten. Früher waren solche Rufe nur dann zu hören, wenn die Uniformierten knüppelten.

„Das Konzept der Vorjahre wird uneingeschränkt fortgesetzt“, sagt Glietsch denn auch. Soll heißen: Beibehaltung des Deeskalationskonzepts der ausgestreckten Hand, größtmögliche Zurückhaltung bei den Demonstrationen der Linken und bei dem Straßenfest, weswegen halb SO 36 für den Autoverkehr gesperrt sein wird.

Hinter den Kulissen – in Hinterhöfen mitten in der Festmeile und an deren Rändern – wird die Polizei aber umso präsenter sein. Wenn der Krawall losgeht, soll die Reaktionszeit bis zum Zugriff der Beamten möglichst kurz sein. Potenzielle „Störer“ sollen wie im Vorjahr von Zivilbeamten unter Manndeckung genommen, in einer eigens dafür geschaffenen Datei registriert werden und einen Platzverweis bekommen. Wer dagegen verstößt, wandert in Unterbindungsgewahrsam. Sobald die Steine fliegen, kommt die Videotechnik zum Einsatz. Fotos der Akteure können gleich vor Ort vervielfältigt und zur Fahndung an die Beamten verteilt werden.

Dass Polizei und Justiz wild entschlossen sind, hart durchzugreifen, hat sich schon im Vorjahr gezeigt: Rund 100 mutmaßliche Steinewerfer kamen in Untersuchungshaft. Das Vorgehen war geradezu generalstabsmäßig geplant. In der chronisch überbelegten Untersuchungshaftanstalt Moabit schuf die Justizverwaltung eigens Platz für den erwarteten Ansturm der Neuzugänge. Auch die Gerichte spielten mit. Selten zuvor wurden so harte Strafen wegen Landfriedensbruchs verhängt (siehe Interview).

Nach allem, was an Mobilisierung aus der linken Szene bekannt ist, scheint der 1. Mai dieses Mal eher ruhig zu werden. Alle schauen auf den 8. Mai – auch die Polizei. „Ein friedlicher 1. Mai wäre eine gute Ausgangsbasis“, sagt Polizeipräsident Glietsch. „Aber der 8. Mai, das ist ein anderer Einsatz …“