Hausbesetzer reif fürs Museum

Vor 25 Jahren wurde das Stollwerck besetzt. 47 Tage lang träumten Linke, Punker, Obdachlose und Junkies den Traum von einem besseren Leben. Jetzt erinnert eine Ausstellung an die bewegte Zeit

VON JÜRGEN SCHÖN

Der Traum vom richtigen Leben im falschen sollte 1980 in der ehemaligen Schokoladenfabrik Stollwerck im Kölner Severinsviertel wahr werden. 400 Menschen besetzten das Gelände und träumten den Traum 47 Tage lang. Dann wurde er jäh beendet. An die bislang größte Auseinandersetzung in Köln zwischen Bürgern, Politik, Verwaltung und Polizei erinnert ab heute eine Fotoausstellung im Kölnischen Stadtmuseum.

Anfang der 70er Jahre hatte die Stadt das „Vringsveedel“ zum Sanierungsgebiet erklärt. 10.000 Menschen lebten hier: Handwerker, Studenten, viele Migranten, nicht gerade die Reichsten. Um Wohnungen für „einkommensstärkere Familien“ zu schaffen, sollten 3.000 Menschen umgesiedelt werden. Zur Umsiedlung der Alteinwohner bot sich das Gelände der Stollwerck-Fabrik an, laut Gutachten 5,5 Millionen Mark wert. Schoko-Fabrikant Hans Imhoff hatte es für 25 Millionen an einen Spekulanten verkauft, dem kaufte es die Stadt dann für 40 Millionen ab. Für die Produktionsverlagerung nach Porz gab sie Imhoff eine Umzugshilfe von 9,6 Millionen Mark und ein zinsloses Darlehen über 10 Millionen. Der damalige Oberbürgermeister John Van Nes Ziegler hatte einen Beratervertrag mit der Firma, Oberstadtdirektor Heinz Mohnen (beide SPD) war Kleinaktionär.

Die „Bürgerinitiative Südstadt“ (BISA) entwickelte ein Nutzungsmodell, bei dem die künftigen Bewohner die Gebäude durch Eigenarbeit in preiswerten Wohnraum verwandeln sollten. Dies wäre gut ein Drittel preiswerter als ein Neubau gewesen. Die SPD-Stadtspitze beharrte jedoch auf Abriss. Vor den Landtagswahlen im Mai 1980 schien sie ihre Linie dann zu ändern. SPD-Landtagskandidat Klaus Heugel fürchtete um Stimmen, zwei Ortsvereine hatten ihm bereits wegen Stollwerck die Unterstützung versagt. Im April fand eine erste große Bürgerversammlung statt. Die BISA durfte eine Musterwohnung einrichten.

Als die SPD die Landtagswahl haushoch gewann, war Schluss mit Dialog. Am 20. Mai, neun Tage nach der Wahl, beschloss der Stadtentwicklungsausschuss den Abriss, die Bagger waren bereits bestellt. Als die Entscheidung bekannt wurde, besetzten 500 Menschen spontan „das Stollwerck“. Die Bagger wurden zurückgezogen, die Polizei rückte gar nicht erst an.

Ursprünglich war die Besetzung nur für einen Tag geplant. Doch die Besetzer blieben. Als die Stadt Strom und Wasser abstellte, behalfen sie sich mit Gaskochern. Nachbarn spendeten Essen und luden zum Duschen ein. Wenige Tage später, zu Pfingsten, besuchten Tausende Kölner die besetzte Fabrik und waren fasziniert vom bunten Leben. Es gab eine „Volksküche“, Ausstellungen, Konzerte – mit dabei auch eine bis dahin weithin unbekannte Kölner Nachwuchsband: BAP.

Die Besetzer waren Spontis, Punker, Junkies, Obdachlose, sie kamen von der DKP, den Jusos, den K-Gruppen. Und sie ließen sich auch nicht von Flugblättern vertreiben, die Oberstadtdirektor Kurt Rossa (SPD) per Hubschrauber abwerfen ließ und auf denen er zur Räumung aufforderte. Bald kam es indes zu Spannungen. Das vom Besetzerplenum verabschiedete Alkoholverbot ließ sich nicht durchsetzen, es gab Schlägereien. Stoff für die Boulevardpresse.

Die Besetzung spaltete auch die SPD. Als sich im Juni ein Unterbezirksparteitag gegen den Abriss aussprach, beharrte Fraktionschef Günther Herterich auf dem Ratsbeschluss. Aber auch auf einem eiligst neu einberufenen Parteitag erhielt er keine Mehrheit. Schließlich gab er nach, es wurde verhandelt. Der erzielte Kompromiss sah vor, dass die Stadt alle Anzeigen gegen die Besetzer zurückzieht, die Musterwohnung fertig gebaut werden darf und obdachlose Jugendliche Ersatzunterkünfte erhalten. Ein Vertrag sollte die künftige Nutzung regeln.

Unter den verbliebenen 150 Besetzern war die Einigung umstritten, trotzdem verließen sie vertragsgemäß am 6. Juli das Gelände. Nur wenige Stunden später stürmten – entgegen der Vereinbarung – Polizei-Hundertschaften die geräumte Fabrik. Bagger rückten an. Einen Tag später wurde der Kakaoturm gesprengt. Die anderen Gebäude folgten nach und nach. Von der alten Fabrik blieb nur noch der „Anno-Riegel“ mit Sozialwohnungen erhalten. Auf dem Rest entstanden Miet- und Eigentumswohnungen.

Über die Bewertung der Besetzung ist sich die linke Szene bis heute uneins. Für manche, die sich damals gegen den Abriss engagierten, war sie das Sprungbrett in die Politik. Andere haben sich in alternative Projekte zurückgezogen. Und mancher hält die Besetzung noch heute für einen Fehler, weil ihr die langfristige Unterstützung aus der Bevölkerung fehlte.

„Stollwerck/Bollwerk/Dollwerk“: Fotos von Eusebius Wirdeier und Annette Frick Kölnisches Stadtmuseum, Zeughausstr. 1-3, ab heute Abend 19 Uhr, bis 19. Juni, Di 10-20 Uhr, Mi-So 10-17 Uhr