Chinakohl à la Schröder

Der Kanzler verteidigt einsam seine China-Politik. Sein profanes Motto „Wandel durch Handel“ vertrat vor Jahren auch schon ein gewisser Helmut Kohl

AUS BERLIN JENS KÖNIG

Als Joschka Fischer ans Rednerpult tritt, hat Gerhard Schröder den Reichstag schon wieder verlassen. Fischer versucht im Plenum des Bundestages gerade zu begründen, was es für die deutsche Außenpolitik bedeuten könnte, dass der Außenminister in der Frage des EU-Waffenembargos gegenüber China eine „skeptischere Haltung“ hat als sein Bundeskanzler. Mit dieser Interviewäußerung hatte Fischer vor einer Woche den Dissens zwischen den beiden Chefaußenpolitikern der Nation ja erst amtlich gemacht. Aber ausgerechnet jetzt, da der China-Streit ausgetragen werden soll, ist der Kanzler abwesend.

Das erbost natürlich die Opposition. Der Außenminister tut ganz souverän. Der Kanzler habe einen unaufschiebbaren Termin, stellt Fischer klar. „Er ist bei den Kirchen.“ Nein, korrigiert die Oppositionsführerin Angela Merkel. „Der Kanzler ist nicht bei den Kirchen, sondern beim argentinischen Staatspräsidenten, und der heißt Kirchner.“

Wenn dieses kleine Missverständnis mal nicht ganz grundsätzliche Verständigungsschwierigkeiten zwischen den beiden Alphatieren der rot-grünen Regierung offenbart.

Dabei wäre es egal gewesen, ob der Kanzler im Bundestag noch länger auf der Regierungsbank gesessen hätte. Fischer und er hielten Reden mit sehr unterschiedlichen Akzenten, aber so aufeinander abgestimmt, dass hinterher keiner mehr so recht wusste, worin die „skeptischere Haltung“ des Außenministers eigentlich besteht. Schröder machte an diesem Donnerstagmittag unmissverständlich deutlich, dass er auch in Bezug auf China seinen eigenen außenpolitischen Stil pflegt: selbstbewusst, breitbeinig, niedersächsisch. Er bezeichnete das Waffenembargo ohne Umschweife als ein „politisch-symbolisches Instrument“, das er für überholt hält: „Ich bin der Überzeugung, dass das Embargo entbehrlich ist.“

Seine Argumentation folgt sehr eindimensional der alten außenpolitischen Devise „Wandel durch Handel“. Nicht umsonst erinnerte der Kanzler an einen Besuch seines Vorgängers Helmut Kohl bei der chinesischen Volksarmee im Jahre 1995 und an dessen Losung von der „langfristigen Politik“ gegenüber China. Natürlich tat er das nicht, um eine Linie der Kontinuität aufzuzeichnen, sondern um der Union „Widersprüchlichkeit und Heuchelei“ vorzuwerfen.

Schröder hält das China von heute nicht mehr für das China von 1989, als in Peking der Studentenaufstand niedergeschlagen worden war. Das Land habe sich politisch und wirtschaftlich geöffnet. Es sei die sechstgrößte Volkswirtschaft der Erde. Es gebe unverkennbare Fortschritte bei den Menschenrechten. „Ohne China ist keine der globalen Herausforderungen zu bewältigen“, so der Kanzler. Für ein außenwirtschaftlich abhängiges Land wie Deutschland liege es also im politischen Interesse, gute Beziehungen zu China aufzubauen.

Die Einwände an seinem Kurs wischte Schröder mal eben so beiseite. Natürlich kritisiere Deutschland die Todesstrafe. Und selbstverständlich müsse China noch pluraler werden. Aber genau dieser notwendigen Entwicklung diene ja die Aufhebung des Embargos, die sich alle EU-Staats- und -Regierungschefs zum Ziel gesetzt hätten. Er auch, und daran halte er fest. Ende der Kanzler-Durchsage.

Die Opposition hatte an diesem Tag ein verhältnismäßig leichtes Spiel. Sie hatte den Antrag, das Waffenembargo nicht aufzuheben, ja nur aus einem Grund in den Bundestag eingebracht: um die Regierung vorzuführen. Um den Streit zwischen Schröder und der SPD einerseits sowie Schröder und den Grünen andererseits öffentlich zu machen. So beschränkte sich Wolfgang Schäuble, der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, darauf, Schröder mit rot-grünen Argumenten anzugreifen. Der Kanzler spiele die Menschenrechte gegen die Wirtschaft aus. Er betreibe eine situative, opportunistische Politik. Sein Vorstoß sei unabgestimmt und schädlich. FDP-Chef Guido Westerwelle machte es sich noch einfacher. Er hielt Fischer alte Fischer-Argumente vor. Der damalige grüne Fraktionschef hatte Mitte der 90er-Jahre „unnachgiebige“ Gespräche mit den chinesischen Machthabern über die Menschenrechte gefordert und der Kohl-Regierung vorgeworfen, sie krieche vor den Chinesen auf dem Bauch. „Wie einen die Bilder doch wieder einholen“, sagte Westerwelle nur.

Fischer sieht sich immer noch als Menschenrechtler, nur jetzt eben mit der Sprechweise eines Diplomaten. In seiner Rede stimmte der Außenminister seinem Kanzler ausdrücklich zu, was dieser zur Bedeutung Chinas gesagt hatte. Anschließend konzentrierte er sich jedoch darauf, die Chinesen zu ermutigen, zu locken und zu mahnen. Es liege in ihrer Hand, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die EU das Waffenembargo aufheben könne. Als Bedingungen dafür nannte Fischer Verbesserungen bei den Menschenrechten, Entspannungssignale in der Taiwan-Frage sowie eine Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit.

Der Außenminister konnte und die SPD wollte den Kanzler an diesem Tag nicht brüskieren. So war es einzig Fritz Kuhn, außenpolitischer Sprecher der grünen Fraktion, der ein paar klare Sätze verlor: Die Grünen seien gegen eine Aufhebung des Embargos zum jetzigen Zeitpunkt. Der Taiwan-Konflikt sei nicht entschärft, bei den Menschenrechten gebe es keine Fortschritte, und im Übrigen sei China eine Ein-Partei-Diktatur. Sie habe ihre Öffnung nie von allein vollzogen.

Kuhn war mal Parteichef. Er weiß, wie man Botschaften verkauft. „Die These des Kanzlers ist falsch“, sagte er. Das dürfte niemand überhört haben.