Bekannte fürs Leben

Ein Buch für Menschen, denen Harald Schmidt zu prollig ist und die lieber bei der Lektüre der „Buddenbrocks“ ablachen: Hans Pleschinski legt mit „Leichtes Licht“ eine Anti-Novelle vor

VON ANDREAS MERKEL

Der erste Eindruck ist: Wen will der denn verarschen? Die Hauptfigur von Hans Pleschinskis neuem, 159 Seiten langen „Roman“ – es handelt sich eher um eine Anti-Novelle ohne die „unerhörte Begebenheit“ – soll angeblich eine 42-jährige Sozialbeamtin aus Hamburg sein und Christine Perlacher heißen. Diese Christine Perlacher nun – lässt sich ein Name vorstellen, der mehr nach dem München Thomas Manns klingt? – fliegt allein in den Urlaub. Für eine Februarwoche auf die Kanaren, nach Teneriffa, wo sie sich bei Sonne, Licht und Wärme vom Job und Alltag erholen möchte.

Daheim ist Christine Perlacher die gute, aber gerechte Seele vom Hamburger Sozialamt (gewissermaßen eine Kollegin von Gabi Lenz aus Pleschinskis gleichnamigem Erstlingswerk aus dem Jahre 1984): Sie fährt durch die Stadt, um den rechtmäßigen Empfang zu prüfen und über den weiteren Bezug der Stütze zu entscheiden – „gewiss, kein Traumjob war es“. Außerdem ist Christine Perlacher noch Single – sie verfügt über einige Lover und Bekanntschaften –, macht sich reichlich Gedanken über Leben, Land und Leute, und das Gute an ihr ist, dass der Leser diese schwer sozialkritisch angelegte Figur dem Autor nicht eine Seite lang glaubt.

Was an der Sprache liegt, in der einem Pleschinski keine der nimmermüden Reflexionen von Christine Perlacher vorenthält. Es beginnt im Flughafen Fuhlsbüttel, wo die Heldin bereits frühmorgens eingecheckt hat, um in aller Ruhe die Mitreisenden mustern zu können: „Ein Passagier am Tisch trank Bier. Kein Mann nach ihrem Geschmack. Andererseits bewies er Mut zum Bier vor Sonnenaufgang. So einem kühlen Pils musste man sich um diese Uhrzeit schließlich innerlich stellen. Entweder war der Dicke ein völlig unbeschwerter Charakter – ein Leben nach dem Motto: schief, aber fidel – oder ein schwerer Alkoholiker.“

Schief, aber fidel: In diesem betulichen Ton des bildungsbürgerlichen Chefironikers, in dieser großväterlich prätentiösen Prosa von Grußkarten, Festreden und Aphorismensammlungen geht es weiter. Allein 50 Seiten braucht es, bis Christine Perlacher, nachdem sie den Flieger erklommen, das Bordfrühstück genossen und ein älteres Paar in der Sitzreihe neben sich zum Piccolöchen eingeladen hat, endlich auf Teneriffa angekommen ist und sich ein erster Urlaubseffekt einstellt. Der Leser, der längst ahnt, dass in dieser Geschichte, wie von der erholungsreifen Protagonistin gewünscht, nicht mehr viel passieren wird, ist da allmählich warm geworden mit dieser Christine Perlacher: nun, da man schon mal gemeinsam unterwegs ist.

Denn hat man sich erst einmal auf das Rollenspiel eingelassen, dass hier ein im Grunde gutmütiger Studienrat in Frauenkleidern neben einem sitzt, dem Harald Schmidt zu prollig ist und der lieber bei den „Buddenbrooks“ ablacht, der ansonsten nun mal ein Faible für Travestie hat und sich in seiner Freizeit gerne als zwanzig Jahre jüngere Christine Perlacher ausgibt, der er sogar eine komplette Biografie mit bewegter Jugend erfunden hat, dann ist einem der komische Kauz irgendwann sogar ganz sympathisch. Sanft eingelullt lauscht man dem immer sachte vor sich hin plätschernden Sound der Gedanken, die stets ausgewogen sind und niemandem, am wenigsten sich selbst, wehtun wollen. Dafür wird sogar die eigene Unentschiedenheit und Indifferenz in Kauf genommen. Klar, wir sind gemeint, Zee Germans, denen es eigentlich gar nicht so schlecht geht: „Wer als Deutscher länger als drei Minuten über mörderische Ungerechtigkeit, ein Leben im schlimmsten Elend, über sein gnadenlos grausames Schicksal klagte, gehörte in den Tschad geflogen.“ Also doch lieber hier geblieben, im Politiker- und Gewerkschaftsland, das „mit seiner mühsamen Sachbezogenheit, den Sitzungsmarathons bei Apollinaris“ doch bisher gut gefahren war, „und– jede Politikverdrossenheit war nicht gestattet. Außer kleinteiliger Politik gab es nur Rabiates, Abgründe“.

Das gilt natürlich auch fürs Private. „Ihr Leben schwankte zwischen gelegentlichen Versuchen zu radikaler Reinheit und den Momenten, alles in den Orkus fahren zu lassen. Das war wohl normal, aber das meiste regelte sich von selbst, und alles ginge einmal vorüber.“ Spätestens hier klingt der Roman wie eine mild parodierende Reprise auf Christoph Heins „Der fremde Freund“, etwa als „Der ganz gute Bekannte“.

Nach ein paar Urlaubstagen beginnt Perlacher seitenlange Bekenner-E-Mails an ihre potenziellen Geliebten zu Hause zu formulieren: „Lieber Peter“ – „Bester Jochen“ – „Alexander, du geiles Stück!“, aber nur im Geiste, denn sie weiß, dass sie diese „Strompost“ (sic!) „nimmer, in keinem Internetcafé“ abschicken wird. Zu verstörend sind Persönlichkeit und Einsamkeit, die hier plötzlich hervorbrechen – unsere wahren Gefühle, eine Beleidigung und Überforderung für jeden anderen.

Am Ende möchte man den Roman dennoch am liebsten allen Alleinreisenden im Bekanntenkreis als Urlaubslektüre ans Herz legen auf die Gefahr hin, dass sie nie wieder mit einem sprechen würden. Keine Verarsche.

Hans Pleschinski: „Leichtes Licht“. C. H. Beck Verlag, München 2005, 159 Seiten, 14,90 Euro