Wie viele Anhänger braucht ein Terrorist?

Heute entscheidet ein Berliner Gericht, ob Ihsan G. bloß verdächtige Chemikalien sammelte und über den heiligen Krieg redete – oder ob er ein Al-Qaida-Terrorist ist. Verteidigung: Es gibt keine Hinweise auf „Gruppenbildung“

BERLIN taz ■ Ihsan G. hat in Berlin viel über den Dschihad geredet, so viel ist sicher. Das sagen seine Verteidiger und die Frauen von der Bundesanwaltschaft. Aber wird das dem Berliner Kammergericht heute reichen, ihn als Al-Qaida-Terroristen zu einer langjährigen Haftstrafe wegen der versuchten Bildung einer terroristischen Vereinigung zu verurteilen? Dazu müsste er schon nah dran gewesen sein, mit dem Gerede andere von gemeinsamen Anschlägen zu überzeugen.

Es gibt zwar einiges, was G. höchst verdächtig erscheinen lässt: Er verließ Deutschland für einige Zeit, nachdem er sich von einem Schweinefleisch essenden tunesischen Immigranten zu einem radikalen Muslim gewandelt hatte. Aber lehrte er in Pakistan den Koran, oder – was die Bundesanwaltschaft vermutet – wurde er in einem afghanischen Camp von Ussama Bin Laden ausgebildet? Fest steht: Nach seiner Rückkehr kaufte er mehrere Handys und Anleitungen, wie man aus diesen Handys Sprengsätze macht. Er war Besitzer des computeranimierten „Im Tiefflug über Deutschland“ und eines Geräts, das vor Überwachungskameras warnte. Er hatte verdächtige Chemikalien, aus denen mit ein paar Küchengeräten dank Internet ein explosiver Stoff hätte werden können.

„Innerhalb eines Tages hätte er einen Anschlag begehen können“ mit dem, was man in seiner Wohnung fand, sagt Bundesanwältin Silke Ritzert. Selbst Verteidiger Michael Rosenthal findet: „Da darf man sich Gedanken machen.“ Mehr aber auch nicht, meint Rosenthal, eine Verurteilung wäre für ihn „Angstbeißen“ des Staates.

Denn was G. allein geplant und gebastelt hat, ist nicht strafbar und nicht angeklagt, und der Besitz von suspekten Substanzen noch lang kein Versuch, eine terroristische Vereinigung zu gründen. Dazu gehört eine „Gruppenbildung“, betont Rosenthals Kollegin Margarete von Galen stets. Außer einigen abgehörten Telefonaten und den Aussagen einiger Vertrauensleute hat die Bundesanwaltschaft aber kaum etwas in der Hand, was belegen könnte, dass G. Terroraspiranten anwarb.

Die Telefonate kann man so oder so auslegen, und was die V-Männer des Verfassungsschutzes angeht: Sie kannten G. kaum, sie hatten ihre Informationen immer nur über Dritte, sie widerriefen einige Male ihre Aussagen und sprachen davon, ihre Kontaktperson beim Verfassungsschutz habe sie wohl missverstanden. „Wir wissen nicht, ob es nicht noch öfter solche Missverständnisse gab“, sagte von Galen in ihrem Plädoyer. Selbst befragen konnte sie die Informanten nicht, weil die beiden Männer aus Sicherheitsgründen während des Verfahrens anonym blieben.

Die Chancen, G. als Al-Qaida-Terroristen zu entlarven, hätten vielleicht besser gestanden, wenn die Ermittler ihn noch eine Weile weiter überwacht hätten. Doch nach allem, was über G. bekannt war, befürchteten sie, er werde am ersten Tag des Irakkriegs zuschlagen, vielleicht auf einer der Demonstrationen. Also nahmen sie ihn am 19. März 2003 fest, um zu verhindern, „dass die Toten auf der Straße liegen“, so drückt Bundesanwältin Ritzert es aus. Anscheinend mussten sich die Verfolger von Ihsan G. an diesem Tag entscheiden: eine mögliche und große Gefahr verhindern oder warten, bis sie die Wahrheit über ihn kannten. MAREKE ADEN