Das unruhige Land

Die Bodenreform und viele unterschiedliche Lebenswege: Die Alteigentümer sind keine homogene Gruppe

STRASSBURG taz ■ Kriegsende 1945 – in allen vier Besatzungszonen ordnen die Alliierten Bodenreformen zu Lasten der Großgrundbesitzer an. Am konsequentesten gehen die Sowjets in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) vor. Unter der Losung „Junkerland in Bauernhand“ wurden rund 7.000 Güter über 100 Hektar enteignet. Betroffen war zu etwa zwei Dritteln der Adel, dessen Bevölkerungsanteil bei etwa 1 Prozent lag.

Daneben wurden in der SBZ auch rund 4.300 kleinere Höfe enteignet, deren Eigentümer als „Kriegsverbrecher und Naziaktivisten“ galten. Einspruchsmöglichkeiten und Rechtsschutz existierten nicht, so war der Willkür Tür und Tor geöffnet und häufig wurden lediglich private Rechnungen beglichen.

Aus heutiger Sicht gelten die Enteignungen selbst denen als rechtsstaatswidrig, die das Ziel einer grundlegenden Neugestaltung der Eigentumsverhältnisse akzeptieren. Die Konfiskationen wurden oft überfallartig vollzogen und waren von Brutalität begleitet. Das enteignete Land wurde anschließend nur zu zwei Dritteln an Landlose und Kleinbauern verteilt. Doch schon in den 50er-Jahren mussten diese „Neubauern“ ihre Flächen dann im Zuge der Zwangskollektivierung in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPGs) einbringen.

Nach der Wiedervereinigung gab es drei Gruppen von Enteignungsopfern. Wer – zum Beispiel als Jude – bereits zu NS-Zeiten enteignet wurde, bekam das Land zurück. Wer von den Sowjets zwischen 1945 und 1949 enteignet wurde, bekam das Land nicht zurück und erhielt nur eine relativ geringe Entschädigung. Für Enteignungen der DDR nach 1949 galt dann das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“. Vor allem diese Schlechterbehandlung hat die Alteigentümer erregt und eine Serie von Prozessen ausgelöst.

Heute werden die „Alteigentümer“ meist von der im Westen aufgewachsenen Erbengeneration vertreten. Doch deren kollektives Vorgehen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich sehr unterschiedliche Schicksale dahinter verbergen. Manche Alteigentümer hatten im Westen einen leichten Start, weil sie auch dort Reichtümer besaßen, andere konnten sich neues Vermögen erarbeiten und Chancen nutzen, die sie in der DDR nie gehabt hätten. Manche – und sie werden gerne vorgeschickt – sind bis heute arme Schlucker geblieben.

Hätten die Alteigentümer in Straßburg höhere Entschädigungen errungen, wäre dies indirekt auch einer anderen Gruppe von Enteigneten zugute gekommen. Wer erst in der DDR enteignet wurde, aber das Grundstück nicht zurückbekam, weil es etwa zwischenzeitlich DDR-Bürger gutgläubig erworben hatten, erhielt die gleiche niedrige Entschädigung wie die Alteigentümer. Auch sie hätten profitiert, wenn Straßburg eine Entschädigung zum Verkehrswert angeordnet hätte. CHRISTIAN RATH