„Das Beben war fällig“

Der Potsdamer Seismologe Claus Milkereit meint, das Dezember-Beben habe die neue Katastrophe beschleunigt

taz: Steht das aktuelle Erdbeben im Zusammenhang mit dem vom 26. Dezember, das den Tsunami auslöste?

Claus Milkereit: Ja und nein. Dies ist zwar kein ursächliches Nachbeben des Bebens vom Dezember, doch es grenzt unmittelbar an die damals betroffene Region. Das Dezember-Beben hat das jetzige also höchstwahrscheinlich mitausgelöst. Eine ähnliche Situation gab es schon einmal 1999 in der Türkei. Da gab es im August das Izmit-Beben als Hauptbeben und im November – direkt angrenzend – das Düzce-Beben. Im aktuellen Fall war im Dezember 2004 das sehr starke Beben vor der Küste von Banda Aceh das Hauptbeben, und das jetzige Beben ist direkt anschließend im Südosten an die damals aktivierte Bruchzone generiert worden. Das hätte also sowieso stattgefunden, nur vielleicht ein Jahr oder zehn Jahre später.

Aber es ist durch das Dezember-Beben verstärkt worden?

Das glaube ich nicht. Bereits 1861 gab es genau dort ein Beben. Jetzt war es vielleicht an der Zeit für ein weiteres – das ließe sich an der Plattenbewegung ablesen. Dieses Erdbeben war sozusagen fällig, es ist aber nicht stärker, als es normalerweise gewesen wäre.

Wie erklären Sie, dass trotz der Stärke die Schäden diesmal relativ gering sind?

In Nias sind viele Häuser zerstört und Menschen von Gebäudeteilen erschlagen worden. Hätte das Beben an Land stattgefunden statt auf See, wäre es noch viel verheerender gewesen. Und auf Sumatra waren die Schäden nicht so groß, weil mit wachsender Entfernung zum Epizentrum die Bodenerschütterung abnimmt. Da zählt jeder Kilometer.

Warum gab es jetzt keinen Tsunami?

Es hat durchaus einen Tsunami gegeben, aber zum Glück nicht so stark. Im Süden von Sumatra gibt es auf den Kokosinseln eine Pegelmessstation. Die hat ein Ansteigen des Wasserspiegels um dreißig Zentimeter angezeigt, was für einen Tsunami spricht. Ich habe von hier aus keinen Zugriff auf die Pegeldaten in Sumatra. Der Abtauchwinkel der Erdplatten war jetzt aber offenbar ein anderer als im Dezember – mehr horizontal und weniger vertikal. Eine horizontale Bewegung löst, anders als eine vertikale, keinen Tsunami aus.

INTERVIEW: SVEN HANSEN