Zeugen Jehovas jetzt normale Kirche

Der Staat muss die Zeugen Jehovas anerkennen, urteilte ein Oberlandesgericht. Wie die großen Kirchen dürfen sie nun Steuern erheben. Kritiker konnten nicht nachweisen, dass die Glaubensgemeinschaft Kinder misshandelt und Abtrünnige bestraft

VON MAREKE ADEN

Das Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Berlin hat die Zeugen Jehovas am Donnerstag als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt und ihnen damit eine ganze Reihe von Privilegien zugebilligt. Sie können nun Steuern eintreiben, Beamte beschäftigen und brauchen auf Genehmigungen für ihre Königreichsäle nicht mehr so lange zu warten. Doch hatten die Christen, die an den Weltuntergang glauben, die Zeitschrift Wachturm feilbieten und an Haustüren missionieren, immer wieder betont, vor allem ein Ziel zu verfolgen: Sie möchten mit dem neuen Status die Gemeinschaft leichter organisieren können, etwa im Fall von Satzungsänderungen. Außerdem sei ihnen die staatliche Anerkennung wichtig.

Genau die aber wollte das Land Berlin ihnen nicht geben. Seit zwölf Jahren streiten die Vertreter der Senatsverwaltung vor Gericht dagegen, die Zeugen Jehovas so behandeln zu müssen wie die großen Kirchen. Die Glaubensgemeinschaft sei nicht rechtstreu, hatten die Anwälte des Landes stets argumentiert.

Das OVG untersuchte nach Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts im letzten Akt des Rechtsstreits einigen Fragen: Üben die Zeugen Jehovas psychischen Druck auf Abtrünnige aus, indem sie deren Familien spalten? Misshandeln die Zeugen Jehovas ihre Kinder, zum Beispiel wenn sie in den Königreichsälen nicht still sitzen? Die Juristen des Landes Berlin meinen: Ja. „Seit Jahren bekommt das Gericht fast täglich nur die Schriftsätze von Abtrünnigen auf den Tisch“, erklärte der Vorsitzende Richter Jürgen Kipp. Das reiche aber als Beweis nicht aus. „Man muss den psychischen Hintergrund dieser Leute klären, bevor man ihre Aussagen als Beweis heranziehen kann“, sagte Kipp, „diese Arbeit hat das Land Berlin nicht geleistet. Es ist seit zwölf Jahren darlegungspflichtig geblieben.“

Objektive Hinweise auf die Misshandlung von Kindern während der Gottesdienste oder den Ausstoß von Abtrünnigen aus den Familien habe das Gericht nie bekommen. Ausgereicht hätten Auskünfte von Familiengerichten oder Schulpsychologen, wenn sie gezeigt hätten, dass die Zeugen Jehovas ihre Kinder signifikant häufiger schlagen als Katholiken oder Atheisten.

Im Dezember hatte der Richter einen Vergleich vorgeschlagen. Danach hätten die Zeugen Jehovas darauf verzichtet, Beamte zu beschäftigen und Kirchensteuern zu erheben. Außerdem sollten sie erklären, dass sie keinen Religionsunterricht an Schulen erteilen, ein Recht, das sie auch ohne den Körperschaftsstatus längst hätten beantragen können. Das Land Berlin hatte den Vergleich abgelehnt. Es wollte vorher klären, dass auch alle anderen Bundesländer mit der Einigung einverstanden sind. Daran ist sie wohl gescheitert. Nun steht auch der Anerkennung in anderen Bundesländern nichts im Weg. Auch darüber, ob sie nicht doch an Schulen unterrichten wollen, können die Zeugen Jehovas neu nachdenken.

Richter Kipp hat mit seinem Urteil auch dafür gesorgt, dass der Prozess nicht doch noch weitergeht. Rechtsmittel verwehrte er mit den Worten: „Die Revision wird nicht zugelassen.“ Der Rechtsanwalt des Landes Berlin, Stephan Südhoff, hatte vor dem Urteil davon gesprochen, notfalls – wie schon 1999 – vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Jetzt bleibt ihm nur die Nichtzulassungsbeschwerde. Ob das Land weiter streiten will, soll davon abhängen, welche Konsequenzen sich aus dem Urteil für andere Gemeinschaften ergeben, zum Beispiel für fundamentalistisch-islamische.

Und während der evangelische Bischof Wolfgang Huber das Urteil in der Presse angriff und davon sprach, dass man den Ausgetretenen hätte glauben müssen – „Wer sonst soll darüber Auskunft geben?“ –, freuten sich die Zeugen Jehovas über ihren „Sieg auf ganzer Linie“.