Versiegender Protest

Globalisierungskritiker mobilisieren nicht. Protest geht an Menschen von L’Aquila vorbei

AUS L’AQUILA MICHAEL BRAUN

„G8 – ihr seid das Erdbeben – wir sind alle Aquilaner“, hieß es auf dem Transparent, das den Demonstrationszug am Freitag eröffnete. Es war der einzige Termin, für den Italiens globalisierungskritische Bewegung in der Erdbebenstadt mobilisiert hatte – am letzten Gipfeltag. Doch die Zeiten von Genua sind lange vorbei. Statt der Hunderttausende aus aller Herren Länder, aus den verschiedensten Bewegungen auch – von Aanarchisten bis katholischen Missionaren, von Gewerkschaftern bis Pfadfindern –, kam in L’Aquila nur noch der harte Kern der Unentwegten.

Italiens Linke, Italiens Globalisierungskritiker sind nicht mehr in der Lage, Massen zu mobilisieren. Und selbst das „Wir sind alle Aquilaner“ auf dem Eröffnungstransparent entsprach nicht der Wahrheit: Die Aquilaner Komitees hatten sich, mit Ausnahme des „Epicentro solidale“, des „solidarischen Epizentrums“, von der Kundgebung ferngehalten, aus Angst vor „Manövern und Instrumentalisierungen“. Sprich: vor Krawallen, die die Aufmerksamkeit von der Not der Erdbebenopfer ablenken könnten. Stattdessen setzten die örtlichen Komitees in den letzten Tagen auf symbolische Aktionen.

Als den First Ladies der G 8 zum Beispiel am Donnerstag die Trümmerkulisse Aquilas gezeigt wurde, hatten sich zehn Frauen aus der Stadt am Straßenrand aufgebaut. Sie trugen Schilder, die sie als „Last Ladies“ auswiesen – als die, die immer noch in Zelten hausen, während Berlusconi, so ihre Anklage, auf ihrem Rücken seine Show abzog. Am gleichen Tag besetzte eine Schar von Aquilaner Aktivisten einen leer stehenden Wohnblock. Ihr Sprecher Mattia Lolli erklärte, etwa 4.000 Wohnungen in L’Aquila stünden leer, etwa 2.000 von ihnen seien unbeschädigt – dennoch aber ließen die Behörden die Menschen in Zelten schlafen, statt den leer stehenden Wohnraum zu requirieren.

„Wir sind keine No-Globals, wir sind Aquilaner, und wir haben zurzeit andere Sorgen“, sagte eine Aktivistin. „Zurück zu den lokalen Protesten“ ist eine der Parolen, die die globalisierungskritische Bewegung angesichts ihrer Krise jetzt ausgibt. Doch wenigstens in L’Aquila ist dieses Zurück nicht gelungen, bewegten sich der lokale und der „globale“ Protest doch auf zwei Gleisen.