Leben is mir Arbeit genug, ey

VON DAVID WAGNER

Stimmen, Arbeitsamt Mitte, Charlottenstraße.

– Scheiße ey, so früh aufstehen. Nur wegen den Scheißarbeitsamt. Ich bin nu ma kein Tagmensch. Ich kann nich so früh morgens. Können die nich ma nachts aufmachen? Die ham doch genügend Kundschaft.

– Und jetzt hier warten.

– Drei Jahre hätte ich auch noch machen können. Und jetzt muss das Arschloch Pleite machen. So eine Scheiße.

– Ich hab immer gern gearbeitet. Hab nie zu denen gehört, die nicht arbeiten wollen. Hatte immer zu tun. Vierzig Jahre. Wenn ich durch die Stadt fahr, seh ich die Häuser, die ich gebaut habe. Ein Jahr Estrich am Kottbusser Tor, Neues Zentrum Kreuzberg. Schlangenbader Straße, das Haus über der Autobahn. Da ham wa richtig Kohle gemacht.

– Und wieso det jetz Agentur heißt? Kann mir och keener erklären.

– Und jetz muss ich auch noch meinen Hund draußen lassen. So eine Scheiße.

– Ich halt mich einfach an meiner Aktenmappe fest. Solang ich die in der Hand hab, kann nix passieren. Sind zwei Stullen und die kleine Thermos drin. Wie sonst. Wie immer, wenn ich auf Arbeit.

– Ich also die Charlottenstraße runter, auf die Suche nach den Scheißarbeitsamt, komm ick da an so einen piekfeinen Hotel vorbei. Und dann so ne Bar, Newton hieß die, hängen lauter nackte Weiber drin. Wie bei Hacke in seinen Spind. Der hatte immer die schärfsten Bilder hängen.

– Wär auf dieser verfickten Amtskarte, dieser Agentur-für-Arbeit-Karte noch was drauf, könnte ich mir da gleich die Kohle ziehen. Der einzige Automat, der einzigen Geldautomaten in dieser verfickten Stadt, an dem ich Geld kriege, steht auf’m Arbeitsamt. Voll ungerecht, ey.

– Und ich, auf der Charlottenstraße, muss ich mir wieda fragen, warum det in Mitte immer so stinkt. Warum stinkt det da bei all die Luxusbuden bloß immer so nach Scheiße? Können die keine Kanäle mehr bauen?

– Da unten am Empfang von diesen Arbeitsamt Mitte sieht’s aus wie am Flughafen. Ich würd gern am Flughafen arbeiten. Da sind die Menschen okay. Auf ihre Art glücklich, weil se wegfliegen können. Weil se aus ihrer Scheiße rausfliegen können. Könnte ja anner Sicherheitsschleuse arbeiten. Jedem Billigflieger einen guten Billigflug wünschen.

– „Lebe dein Haar“ und „Cigarrenhaus“. Cigarren mit C. So eine Bonzenscheiße, diese Charlottenstraße, da oben in Mitte. Da braucht jedes Schaufenster ma einen Pflasterstein. Ick hab schon wieder voll die Mittewut, ey.

– Nie wieder Call-Center. Ick will nich wieder Call-Center. Wenn die Sacharbeiterfotze mich wieder innen Callcenter schickt, dann schrei ick. Die kann mir doch nicht in die Sexdienstleistung zwingen. Det Rumjestöhne halt ick nich mehr aus.

– Noch lieber würd ich unter den Flugzeugen arbeiten. Da wo die Koffer rauskommen. Da isses wenigstens immer so laut, dass man mit keiner Sau reden muss. Ich hatte jahrelang keine Arbeit mehr, wo es richtig laut war. In dieser ganzen Scheißstadt gibt es überhaupt keine Fabrik mehr, in der anständig Krach gemacht wird. Nur noch Computerlüftungsrauschen. Und überall leere Büros.

– Ich erinner mich an fast alle Baustellen. Gropiusstadt, die U- Bahnhöfe. Dreißig Jahre lang ham wa Senatskohle ohne Ende verbuddelt. Det war West-Berlin. Arbeitsamt war mir unbekannt. Bin nie dagewesen. Und jetze, kurz vor Schluss. Nu auf einma sitz ick hier.

– Nee, Vollbeschäftigung ist nicht mehr. Die, die noch Arbeit ham, sollten uns dankbar sein, det wir uns opfern und auf unsern Anteil verzichten. Dafür dürfen se uns auch bezahlen.

– Leben is mir Arbeit genug, ey. Wenn de keine Kohle hast, is allet Arbeit.

– Drei Neffen, drei von meinen Neffen sind nun Privatvopos bei so n Wachdienst. Die ham überhaupt nischt mehr gelernt. Die können keene Wand mehr mauern. Die stehen nur noch mit Knüppeln rum. Und wenn de se fragst, ham se auch schon so beschissene Sprüche drauf, wie, ist doch schön mit Menschen zu arbeiten. So eine Scheiße. Ich wollte nie mit Menschen zusammenarbeiten. Ich immer mit n Hammer wo draufhauen. Oder ne schöne, hohe Mauer bauen. Wär sowieso wieder ma an der Zeit.

– Nee, nee. Bau is nich mehr. Machen jetzt allet die Polen, die Rumänen und wat weiß ick wie die Brüder heißen. Die machens für die Hälfte. Oder noch n bisschen billiger. Kannste vergessen. Game Over. Aber ick kann mir nich beklagen. Hab immer jut verdient. Berlinzulage, Schlechtwettergeld. Schwarzarbeit. Und nu, kurz vor der Rente? Endlich arbeitslos. Hat doch auch sein Jutes. Von so viel Freizeit hab ick immer jeträumt. Nich arbeiten und Kohle kriegen. Wie im Paradies. Ick muss nich mehr ran und kann in unsern Schrebergarten. Arbeit hab ick da ohne Ende.