„Viele Muslima fühlen sich nur als Opfer betrachtet“

MORD IN DRESDEN Der antimuslimische Rassismus nimmt seit Jahren zu, sagt die Berliner Forscherin Iman Attia. Entsprechende Vorurteile gehörten bereits zum deutschen Allgemeinwissen

■ 46, forscht seit Anfang der 90er-Jahre zu Islamfeindlichkeit in Deutschland, zu Orientalismus und kulturellen Stereotypen. Sie ist Erziehungswissenschaftlerin an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin.

taz: Frau Attia, wenn jemand, wie gerade in Dresden geschehen, eine Frau tötet, die er als „Terroristin“ und „Islamistin“ beschimpft hat, ist das ein islamfeindlicher Anschlag?

Iman Attia: Ja, wenn die Worte so gefallen sind, auf jeden Fall. Und es hat in den vergangenen Jahren zugenommen, dass Einwanderer nicht mehr als Ausländer wahrgenommen werden, sondern zunehmend als Muslime oder eben als Terroristen. Es liegt dann die Denkweise zugrunde, jeder Muslim sei gleich ein Islamist und jeder Islamist sei gleich ein Terrorist.

Werden kopftuchtragende Frauen besonders angefeindet?

Leider müssen diese Frauen damit rechnen, öffentlich bemitleidet, beleidigt oder angepöbelt zu werden. Abgesehen von offenen und hasserfüllten Aggressionen, haben sie aber auch Probleme im Alltag. Untersuchungen zeigen, dass sie es schwerer haben, einen Ausbildungsplatz oder – selbst wenn sie studiert haben – eine Arbeitsstelle zu bekommen. Viele muslimische Frauen kritisieren, dass ihre eigenen Entscheidungen nicht als solche wahrgenommen werden, weil man sie nur als Opfer betrachtet.

Hat das Phänomen Islamfeindlichkeit in den vergangenen Jahren zugenommen?

Ja, und zwar in besorgniserregender Art und Weise. Das zeigen Studien des Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer und der Antidiskriminierungsstelle des Europäischen Rats. Ich selbst untersuche antimuslimische Diskurse im Alltag und habe festgestellt, dass sie in der Gesellschaft so selbstverständlich sind, dass man sie nicht einmal als Diskriminierung wahrnimmt. Antimuslimische Stereotype sind so gesehen Allgemeinwissen.

Wir wirkt sich das für Migranten in Deutschland aus?

Es wird einfach angenommen, alle Menschen aus muslimischen Familien würden sich erstrangig als Muslime definieren, und nicht etwa über ihre Rolle als Eltern, ihren Beruf oder ganz andere Dinge. Deshalb werden sogar Islamkritiker als Muslime wahrgenommen. Außerdem werden dadurch alle möglichen Verhaltensweisen mit dem Islam in Verbindung gebracht. Der Grund, warum die Kinder schlecht in der Schule sind, ist dann der Islam, oder die Herkunft, aber nicht das deutsche Schulsystem.

Wenn ein türkisch- oder arabischstämmiger Muslim Opfer von Rassismus wird, woher weiß man, ob das Motiv ausländer- oder islamfeindlich war?

In vielen Fällen können wir nicht sofort wissen, ob antimuslimischer Rassismus vorliegt, das muss untersucht werden. Klar ist es aber, wenn der Täter entsprechende Schimpfwörter verwendet.

Studie: Nach Untersuchungen des Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer nimmt die Ablehnung von Muslimen in Deutschland immer mehr zu. Im Jahr 2007 waren 29 Prozent eher oder voll und ganz der Meinung, Muslimen solle die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden. 39 Prozent stimmten eher oder voll und ganz der Aussage zu: „Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land.“ Über 60 Prozent sagten, der Islam passe „überhaupt nicht“ oder „eher nicht“ in „unsere westliche Welt“ und lasse sich nicht mit europäischen Werten vereinbaren. KS

Was spielt sich in islamfeindlichen Foren wie Politically Incorrect oder „Die grüne Pest“ im Internet ab?

Sehr deutlich ist, dass mit Absicht nicht zwischen verschiedenen islamischen Strömungen, säkularen Muslimen, Islamisten und Terroristen unterschieden wird. Alles wird bewusst und gezielt in einen Topf geworfen. Das hat das Zentrum für Antisemitismusforschung in einer Studie gezeigt. Außerdem werden in diesen Foren eine ganze Menge antisemitische Klischees bedient, die aber auf Muslime angewendet werden. Gleichzeitig stellen sich diese Foren als judenfreundlich dar. Diese ganze Entwicklung ist schon sehr beängstigend.

INTERVIEW: KARIN SCHÄDLER