Nutzen Menschenhändler die Not?

Kinderprostitution und die Folgen des Tsunami. Auf den politischen Willen zu einem offensiven Umgang mit der Problematik Kinderprostitution kann man in den zerstörten touristischen Regionen bislang nur hoffen. Auch auf die ethische Selbstverpflichtung der Reiseveranstalter zum Schutz der Kinder

Allein in Thailand sind ein Drittel aller Prostituierten in den Sexzentren Kinder und Minderjährige

VON CHRISTEL BURGHOFF

Die Meldung von der Verschleppung eines schwedischen Jungen aus einem thailändischen Krankenhaus machte Anfang Januar weltweit Schlagzeilen. Kurzzeitig rückte das Problem von Kinderhandel und Kinderprostitution ins Licht der Öffentlichkeit. Neben den Opfern des Tsunami, so wurde deutlich, existiert auch die Gefahr, dass mit den Überlebenden noch Schlimmes passieren kann, besonders mit den Kindern.

Der 12-jährige Schwede sollte in Begleitung eines erwachsenen Deutschen verschwunden sein, hieß es. Kurz darauf die Entwarnung: Es war ein falscher Verdacht. Der angebliche Entführer wurde rehabilitiert. Dann wurde es wieder ruhig um die Nöte der Kinder.

Doch von Entwarnung kann unter den Organisationen der Kinderhilfe längst nicht die Rede sein. „Man muss diese Gerüchte ernst nehmen“, so Helga Kuhn, die Sprecherin von Unicef Deutschland, „Menschenhändler nutzen die Not der Menschen aus.“ Etliche Gerüchte machen seither die Runde: Dass über Nacht Waisenkinder in Schnellbooten abtransportiert wurden, dass falsche Helfer in echten Unicef-T-Shirts Kinder abgegriffen hätten. Eines der vielen Gerüchte führte zu einer Anklage: Auf Sumatra wurde ein Ehepaar mit einer vierjährigen Flutwaise festgenommen.

Wie ernst die Situation nach dem Tsunami ist, zeigen regierungsamtliche Reaktionen: Indonesien und Sri Lanka verhängten ein zeitweiliges Adoptions- bzw. Ausreiseverbot für Kinder unter 16 Jahre ohne Begleitung ihrer Eltern.

Auch wenn nicht viel darüber gesprochen wird: Kinderhandel ist ein weltweit verbreitetes und bekanntes Problem. Unicef Indonesien brachte die Zahl von 70.000 Kindern ins Spiel, die allein über die Hafenstadt Medan auf Sumatra jährlich in illegale Adoption, Sexindustrie und Zwangsarbeit geschleust werden. Nach Kenntnissen von NGOs sind etwa in Thailand ein Drittel aller Prostituierten Kinder und Minderjährige, man vermutet hier mindestens 200.000 Kinderprostituierte.

Diese Kinder bedienen nicht nur Touristen in den Sexzentren wie etwa Pattaya, Koh Samui oder Phuket, sie dienen ebenfalls Einheimischen und auch Migranten. Konkrete Zahlen beruhen zwangläufig auf Schätzungen und differieren immer, je nach Quelle. Aber sie beleuchten das Problem.

Kinderprostitution in Asien vor dem Tsunami: Das war mindestens eine Million Kinder jährlich, die allein in die Prostitution verkauft wurde. Und jetzt? Der Tsunami hinterließ auch ein Heer von Waisen. In Banda Aceh sollen 35.000 Kinder ihre Eltern verloren haben. Örtliche Hilfswerke der internationalen Kinderrechtsorganisation Ecpat registrieren Kinder auf Sri Lanka und Sumatra, sie nehmen Fingerabdrücke, berichtet Mechthild Maurer von Ecpat Deutschland.

Die Kinder zu registrieren und die Daten zu sammeln beschreiben alle Kinderhilfsorganisationen von Anfang an als die wichtigste Aufgabe neben der Grundversorgung und der Rückführung in Familien und Schulen. Von Adoptionswünschen abzusehen ist eine Bitte, die zum Beispiel Unicef Deutschland im Internet an Hilfswillige hierzulande richtet.

Die zwanzig Hilfszentren, die Unicef in Indonesien aufgebaut hat, sollen möglichst noch fünf Jahre lang bestehen bleiben. Internationale Hilfe für Kinder wird vor allem in Regionen geleistet, in denen große Verwüstungen und große Armut herrschen. Es sind vor allem die Rekrutierungsgebiete von Kinderhändlern.

Ein Land wie Thailand, in dem Kinder eher in der Prostitution eingesetzt werden, ist weniger das Ziel der Hilfsorganisationen. Thailand ist ein vergleichsweise reiches Land, das sich selbst helfen kann. Sich um Waisenkinder zu kümmern machte sich die Königliche Familie zur Aufgabe. Thailand kann außerdem seit 1996 auf Gesetzesverschärfungen bei der Kinderprostitution verweisen. Und jetzt ist sogar von einem Wiederaufbau des Tourismus nach Nachhaltigkeitsstandards die Rede. Kitti Phantanachinda, Vizepräsident des Tourismusverbandes Phuket, stellte kürzlich in Hannover die wichtigen Aufgaben vor: küstengerechte Bebauung, den Schutz von Korallenriffen und Mangrovenwäldern. Die Ausrichtung dieser Pläne klingt zumindest ökologisch – aber soll der Tourismus jetzt auch sozial gewendet werden? Im Phuket-Action-Plan wird kein Handlungsbedarf zum Sextourismus formuliert. Hilfsverbände winken derzeit ab: Der Tsunami bedeute längst keine Zäsur.

Bei allem guten Aufbauwillen: Auf den politischen Willen zu einem offensiven Umgang mit der Problematik Kinderprostitution kann man in den zerstörten touristischen Regionen bislang nur hoffen. Ohne Zweifel hat der Tsunami das Geschäft mit dem Sextourismus an den Stränden gestört, aber nicht ernsthaft getroffen oder weggespült, meint Anita Pleumarom vom Tourism Investigation & Monitoring Team (Tim-Team) aus Bangkok. Sie spricht von „business as usual“. Auf Phuket sollen dem „Territorialkämpfe“ unter den unterschiedlichsten Fraktionen vorausgegangen sein. Berichten aus Thailand zufolge sind die ersten Rückkehrer an die Strände von Phuket die Sextouristen. Sie halten den „wahrscheinlich größten Rotlichtbezirk der Welt“ (Spiegel) weiter am Laufen. Die Lücken im touristischen Geschäft reißen in erster Linie andere Touristen, die nach dem Tsunami weggeblieben sind, beispielsweise die Familien mit Kindern.

Für die gefährdeten Kinder sind dies alles keine guten Bedingungen. Gut möglich, dass die Problematik mit dem Kinderhandel in Tsunami-Gebieten demnächst noch größer wird. Mechthild Maurer von Ecpat nennt vor allem zwei Problembereiche: Zum einen wird ein Anwachsen des kriminellen Bandenwesens befürchtet, das die Hilfsbereitschaft und das Interesse von Ausländern bedienen möchte und verstärkt Kinder zur Adoption anbietet. Das andere Problem ist die Reisebranche selbst und ihr unermüdliches Trommeln für die schnelle Wiederaufnahme des vollen touristischen Betriebs. Denn die Tourismusindustrie habe, so Mechthild Maurer, bereits vor dem Tsunami die Kinderprostitution angekurbelt.

Maurer fordert, den internationalen Verhaltenskodex der Reisebranche als Grundlage einer Weichenstellung im Tourismus nach dem Tsunami einzubringen. „Wenn es der Reisebranche mit ihrer ethischen Selbstverpflichtung ernst ist, dann muss sie den Kinderschutz auch in ihr Geschäft integrieren.“ Zum Schutz der Kinder ist hier die offensive Haltung der Touristiker gefragt. Vor allem der hiesigen.