„Irans Regierung ruft zum Mord auf “

Iran Kanadas Exjustizminister strebt eine Klage gegen Ahmadinedschad an. Die Machthaber des Landes, sagt er, dämonisierten die Juden, und die Welt schaut zu

■ geboren 1940 in Montreal, studierte Jura und arbeitet als Rechtsprofessor an der McGill University in Montreal. Seit 1999 ist er Mitglied des kanadischen Parlaments. Als Justizminister (2003 bis 2006) und Generalstaatsanwalt Kanadas setzt er sich besonders für die Menschenrechte ein.

■ Er initiierte die erste Anklage im Rahmen des kanadischen Gesetzes über Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit wegen des Völkermords in Ruanda. Cotler war von 1980 bis 1983 Präsident des „Canadian Jewish Congress“ und ist aktiv im „World Jewish Congress“

INTERVIEW CIGDEM AKYOL

taz: Herr Cotler, der alte und neue iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad lobt sein Land als das demokratischste der Erde. Wie viel Zynismus steckt dahinter?

Irwin Cotler: Wann immer der Machthaber Ahmadinedschad spricht, steckt eine Menge Zynismus dahinter.

Ist Hossein Mussawi ein glaubwürdiger Oppositioneller? Die Unterschiede zu Ahmadinedschad scheinen auf den ersten Blick nicht sonderlich groß zu sein.

Das iranische Volk war bisher nicht in der Lage, einen Repräsentanten zu bestimmen, den sie frei wählen konnten. Ursprünglich gab es 475 Kandidaten, die sich für die Wahlen aufstellen lassen wollten. Der Wächterrat hat aber nur vier Personen zugelassen. Die Auserwählten können nicht von sich behaupten, aus dem Volk zu kommen, und die Iraner konnten nur die wählen, die ihnen vorgesetzt wurden. Auch Mussawi ist ein Teil des klerikalen Regimes und hat unter dem obersten Religionsführer Ali Chamenei gedient. Mussawi kommt aus der gleichen Ecke wie Ahmadinedschad. Vor 20 Jahren war er ein Teil der Regierung, die Menschen unterdrückte. Er war dabei, als das Atomprogramm entwickelt wurde. Aber jetzt führt die Dialektik der Politik dazu, dass er als Oppositioneller betrachtet wird. Er ist leider momentan auch der Einzige, der fähig ist, die Menschen zu mobilisieren.

Sollten westliche Regierungen die iranische Opposition unterstützen?

Der Westen darf nicht den Eindruck erwecken, sich in die inneren Angelegenheiten des Iran einzumischen. Denn Ahmadinedschad würde das für populistische Zwecke ausnutzen. Dennoch muss man die Menschenrechte, die Rede- und Versammlungsfreiheit und das Recht auf freie Wahlen einfordern. Das sind übrigens Dinge, die Ahmadinedschad immer wieder proklamiert. Der Westen sollte also lediglich verlangen, was der Machthaber behauptet.

Sie bereiten momentan mit anderen Völkerrechtlern eine Klageschrift gegen Ahmadinedschad vor, weil er die Antivölkermordkonvention nicht einhalte, sondern zu Mord an den Juden aufrufe …

Der Holocaust und die Völkermorde auf dem Balkan, in Ruanda und in Darfur wurden staatlich unterstützt – und niemand kann sagen, wir habe es nicht gewusst. Der Holocaust begann nicht in den Gaskammern, er begann mit den Worten. Es besteht die Gefahr der Gleichgültigkeit. Das 20. Jahrhundert war das Zeitalter der Grausamkeiten und der Straflosigkeit. Nur wenige der Täter wurden zur Rechenschaft gezogen.

Und das wollen Sie jetzt ändern?

Wir müssen Ahmadinedschad zur Rechenschaft ziehen, wir müssen ihn zur Verantwortung drängen. Der Iran ist Unterzeichner der Antivölkermordkonvention, dennoch hält er sich nicht daran. Wir erleben bei Ahmadinedschad und bei Ali Chamenei eine Wiederholung der Geschichte: nämlich die Aufforderung zum Völkermord, eingebettet in die schlimmste Form des Hasses, des Antisemitismus, unterstützt durch die illegale Entwicklung der Atombombe. Es handelt sich um eine religiös unterfütterte Aufstachelung zum Genozid. Er leugnet den Holocaust und wiegelt zu einem neuen auf. Er warnt Muslime davor, dass sie in der Umma des Islam verbrennen, sollten sie Israel anerkennen.

Ein Land wie Deutschland hat die Verantwortung, Ahmadinedschads Iran zur Rechenschaft zu ziehen. Deutschland hat eine moralische Autorität

Der Iran wird also von Völkermördern regiert?

Die Belege, die wir haben, zeigen eindeutig: Der Iran wird von Menschen regiert, die zumindest zum Völkermord aufrufen. Ich möchte die Situation im Iran nicht mit dem Holocaust vergleichen, und auch nicht Ahmadinedschad mit Hitler. Aber die Vorbotschaften, die sind so deutlich, dass Vergleiche mit dem Nazi-Holocaust und dem Völkermord in Ruanda nicht völlig au der Luft gegriffen wirken. Genauso wie die Nazis sagten, die Juden seien Dreck, und die Hutus von den Tutsi behaupteten, sie seien Kakerlaken, so sagt Ahmadinedschad, dass Israel ein Krebsgeschwür sei, das entfernt gehöre. Er und Chamenei haben Israel als schmutzige Bakterien bezeichnet, als stinkenden Leichnam, als diabolisch und die Juden als Untermenschen. Es geht hier nicht nur um die Entmenschlichung, sondern schlichtweg um die Dämonisierung der Juden. Chamenei sagt, es gebe keine Lösung im Nahen Osten ohne eine Auslöschung des jüdischen Staates.

Sind die westlichen Regierungen zu leisetreterisch?

Ja, es besteht die Gefahr der Gleichgültigkeit. Der Westen ist gleichgültig und tatenlos. Es gibt die Verpflichtung, bei der iranischen Aufstachelung zum Völkermord einzuschreiten, um Schlimmeres zu verhindern. Die Kultur der Straflosigkeit muss beendet werden, bisher haben wir die Täter eher belohnt. Viele der Unterzeichnerstaaten der Konvention gegen Genozid ignorieren heute, dass sie nicht nur das Recht, sondern auch die Verantwortung haben, die Anstiftung zum Völkermord zu verhindern. Der Iran hat den Kurs auf Völkermord gestellt und niemanden über seine Intentionen im Unklaren gelassen. Die internationale Gemeinschaft darf nicht auf Leichenfelder warten.

Das Völkerrecht kann jedoch zur Durchsetzung nicht gezwungen werden.

Seien Sie nicht so zynisch. Nichtsdestoweniger haben die Resolutionen natürlich eine politische und moralische Bedeutung. Keine Vertragspartei hat bisher eine Beschwerde über den Iran beim Internationalem Gerichtshof eingelegt. Die Verpflichtungen der Völkermordkonvention müssen von den Unterzeichnerstaaten noch wachgerufen werden. Keine der Unterzeichnerstaaten hat bislang einen Beschwerde gegen Ahmadinedschad im Rahmen der Konvention initiiert. Auch Länder, deren Gesetzgebung das Weltrechtsprinzip beinhaltet, haben bislang nicht gehandelt. Die Handlungsunfähigkeit der Unterzeichnerstaaten und der Vereinten Nationen ist ein tödlicher Stoß für das Völkerrecht und die Vereinten Nationen, insbesondere die Genozid-Konvention. Die internationale Gemeinschaft darf nicht die Straflosigkeit der Täter unterstützen.

Weshalb wagt sich das keiner?

Politiker leben häufig in einer Art Blase. Bei dem Treffen der G-8-Justizminister 2004 haben mir vier Justizminister erklärt, dass sie von dem Völkermord in Darfur nichts wüssten. Viele wissen gar nicht, dass sie eine rechtliche Verantwortung haben, zu handeln. Es braucht einen Initiator, die moralische und rechtliche Verantwortung auszuüben. Es gibt keinen Grund, warum Deutschland, oder auch mein Land Kanada, nicht eine zwischenstaatliche Beschwerde gegen den Iran unterzeichnen sollte vor dem Internationalem Gerichtshof. Ein Land wie Deutschland hat einfach die Verantwortung, diese Aufwiegelung zu vermeiden und Ahmadinedschads Iran zur Rechenschaft zu ziehen. Deutschland ist hierfür das geeignetste Land.

■ Eine Gruppe israelischer Diplomaten und Abgeordnete wollte 2006 Irans Präsidenten Ahmadinedschad vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag bringen. Dort sollte er wegen der „Planung eines Völkermords“ verklagt werden. Die Kläger wollten sich auf die Konvention der Generalversammlung der UN über die „Verhütung und Bestrafung des Völkermordes“ aus dem Jahre 1948 berufen. Bisher wurde nichts eingereicht.■ Im Juni 2007 hatte das US-Repräsentantenhaus mit überwältigender Mehrheit entschieden, dass die Sprache Ahmadinedschads die Völkermordkonvention verletzt. Eine ähnliche Resolution wurde im letzten Jahr auch von 70 Mitgliedern des britischen Unterhauses unterzeichnet. Sowohl der australischen Premierminister Kevin Rudd als auch der kanadische Premier Stephen Harper haben die Sprache Ahmadinedschads als genozidal bezeichnet. Dennoch hat sich bis jetzt kein Staat bereitgefunden, rechtliche Schritte gegen Ahmadinedschad wegen „direktem und öffentlichem Aufruf zum Völkermord“ einzuleiten.

■ Irwin Cotler hat ein umfassendes Gutachten ausgearbeitet, das prominente Experten, darunter Elie Wiesel, Friedensnobelpreisträger und Holocaust-Überlebender, in seinen Handlungsvorschlägen mittragen. Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass nach dem Völkerrecht Maßnahmen gegen die Islamische Republik Iran und ihr Führungspersonal ergriffen werden können und sollten.

Warum?

Deutschland hat eine moralische Autorität. Aufgrund der deutschen Vergangenheit weiß man um die Gefahr staatlicher Aufstachelung zum Völkermord. Außerdem ist Deutschland Irans größter Handelspartner, es gibt also auch eine wirtschaftliche Schlagkraft, und hat allein schon deshalb, was die politische Willensbildung in der Islamischen Republik Iran anbelangt, herausragendes Gewicht. Deutschland ist ein nichtständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats und führend in der G 8 und es genießt weltweit hohe politische Achtung. Wir brauchen ein Land, das diesen politischen Willen zeigt und nicht in die iranische Wirtschaft investiert. Es reicht nicht aus, nur Privatunternehmen zu bitten, sich aus dem Iran zurückzuziehen. Ich hoffe, dass sich Kanada dem anschließen wird.

Wird Ahmadinedschad nicht lachen, wenn man ihm mit dem stumpfen Schwert Völkerrecht droht?

Denken Sie an Milošević. Allein seine Inhaftierung und die Anklage haben gezeigt, dass Diktatoren keine Straffreiheit genießen. Schon die bloße Androhung von Sanktionen und das Vorhandensein eines Weltstrafgerichts können schon beeindruckend wirken. Ahmadinedschad und alle anderen iranischen Führern, die zu Hass und zum Völkermord aufstacheln, muss ein Reiseverbot auferlegt werden, um sie daran zu hindern, ihr Amt als Podium für hasserfüllte und aufstachelnde Äußerungen auf der internationalen Ebene zu nutzen. Wenn wir die iranische Regierung zur Rechenschaft ziehen, werden die dortigen progressiven Kräfte gestärkt. Die Menschen im Iran verdienen das. Es ist das Mindeste, was wir tun können.

Mitarbeit Maike Grabowski