Atom-Debatte nach Störfall

KRÜMMEL Schnellabschaltung: AKW ist wieder vom Netz. Gabriel droht Merkel

„Ich halte den Einsatz der Bundeskanzlerin für unverantwortlich“

SIGMAR GABRIEL (SPD)

AUS HAMBURD UND BERLIN MARCO CARINI
UND MALTE KREUTZFELDT

Dass ihr Wunsch so schnell in Erfüllung gehen würde, hatten sie nicht erwartet: Noch am Freitag hatten etwa 200 Menschen vor dem Tor des Atomkraftwerks Krümmel dessen sofortige Abschaltung gefordert. Schon am Samstagmittag ging der Reaktor tatsächlich vom Netz.

Grund waren allerdings nicht die Proteste, sondern massive technische Probleme: Nach dem Ausfall eines Maschinengenerators wurde gegen 12 Uhr eine Reaktorschnellabschaltung ausgelöst. Die Ursache war ein Kurzschluss in dem Transformator, der bei dem Brand vor zwei Jahren unbeschädigt geblieben war. In der Folge trat Öl aus dem beschädigten Transformator aus, das sich aber – anders als vor zwei Jahren – nicht entzündete. Was diesen Kurzschluss ausgelöst hat, erklärte der Betreiber des AKW Krümmel, Vattenfall, am Sonntag nicht. Beim Herunterfahren des Reaktors, räumte der Energiekonzern ein, gab es weitere technische Pannen: Die Fixierung eines Steuerstabs erwies sich als defekt, die Kühlung des Reaktorwasser-Reinigungssystems fiel für vier Stunden aus, und ein defektes Brennelement gab erhöhte Radioaktivität ins Reaktorwasser ab.

Die unmittelbaren Auswirkungen der Schnellabschaltung waren vor allem in Hamburg zu spüren: Dort fielen aufgrund eines Spannungsabfalls im Netz 1.500 der 1.800 Ampeln aus, die Stromversorgung von Unternehmen brach zusammen, durch den Ausfall von Pumpen platzten Wasserrohre.

Die in Schleswig-Holstein für die Atomaufsicht zuständige Sozialministerin Gitta Trauernicht (SPD) kritisierte, dass Vattenfall die Behörden nicht unmittelbar informiert habe. „Ein Fehler in der Erstkommunikation“, räumte der Chef von Vattenfall Europe Nuklear Energy, Michael Züfle, am Sonntag ein. „Ich sagte ganz deutlich, dass dies völlig inakzeptabel ist.“

Das sehen auch die Atomkraftgegner so: „Die Öffentlichkeit wird offensichtlich belogen und betrogen“, sagte Jan Becker vom Netzwerk Contratom. „Vattenfall behauptete, ein komplett überholtes AKW ans Netz zu bringen, nun dieser schwere Störfall“, sagte Becker.

Trauernicht erklärte, als Konsequenz aus dem Störfall habe sie „eine erneute Zuverlässigkeitsprüfung des Betreibers veranlasst“. Bereits nach dem Brand vor zwei Jahren war Vattenfall für seine Informationspolitik in die Kritik geraten.

Doch allein wird Trauernicht eine mögliche Wiederinbetriebnahme nicht genehmigen können. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) kündigte an, dass er die Entscheidung darüber an sich ziehe: „Wir sind uns einig, dass ein Wiederanfahren des Reaktors Krümmel nur nach vorheriger Zustimmung der Bundesaufsicht erfolgen wird“, sagte Gabriel der taz. Als Kritik an Trauernicht wollte er dies nicht verstanden wissen. Zudem kündigte er an, wegen des Störfalls in Krümmel die elektrischen Systeme in allen Atomreaktoren überprüfen zu lassen.

Der Grünen-Politiker und frühere Umweltminister Jürgen Trittin kritisierte dagegen die Rolle Gabriels. „Gabriel versucht mit lautem Getöse davon abzulenken, dass er es versäumt hat, schärfere Regeln für Atomkraftwerke gegen die Länder durchzusetzen“, sagte Trittin der taz. Gabriel hatte das neue „Kerntechnische Regelwerk“ kürzlich nach Widerstand aus den Bundesländern zunächst nicht in Kraft gesetzt.

Durch die neue Krümmel-Panne gewinnt auch die Debatte über die weitere Zukunft der Atomkraft in Deutschland wieder an Fahrt. Gabriel und Trittin kritisierten die Pläne von Union und FDP, nach der Wahl den Atomausstieg zu stoppen. „Ich halte den Einsatz der Bundeskanzlerin für längere Laufzeiten der alten Atomkraftwerke für unverantwortlich“, sagte Gabriel. Trittin verwies auf eine neue Studie der Landesbank Baden-Württemberg, wonach die Stromkonzerne bei deutlich längeren Laufzeiten Zusatzgewinne von 200 Milliarden Euro erzielen könnten. „Diese Geschäfte gehen zulasten der Bevölkerung, die das Sicherheitsrisiko trägt“, sagte Trittin.