„Ich denke an Euch bis zum letzten Atemzug“

Schreibtischmörder und ihre Schergen: Vor 60 Jahren lief die Mordmaschinerie der Nationalsozialisten auf Hochtouren. 363 Menschen wurden im Jahr 1945 in Hamburg hingerichtet – darunter waren auch zwölf Mitglieder der Widerstandsgruppe Etter-Rose-Hampel

„Stehen bleiben, Geheime Staatspolizei!“, rief der 34 Jahre alte Gustav K. am Hamburger Berg einem Überfallenen zu. Er drückte seinem Opfer den Zeigefinger in den Rücken und raubte einige tausend Reichsmark. Dieser Mann gehörte nicht zur Gestapo, mit deren Name er drohte. Er wurde verhaftet, das Hanseatische Oberlandesgericht verurteilte ihn wegen der Straftat während der Verdunklungszeit Anfang 1945 zum Tode. Der 38 Jahre alte Erich Sch. erhielt im gleichen Zeitraum die Todesstrafe wegen Kriegswirtschaftsverbrechen – er soll mit Zigaretten gehandelt haben.

In Hamburg erhöhte die NS-Justiz von Jahr zu Jahr die Zahl der Hinrichtungen. Im Jahr 1933 waren 54 Personen durch den Henker gestorben, im Jahre 1944 waren es 290 Personen. Im Jahr 1945 erreichte der Hinrichtungswahn mit 363 Toten seinen Gipfel. Mit Hochdruck machte sich der Gestapo-Terrorapparat vor allem daran, Listen von Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern aufzustellen, die kurz vor Kriegsende noch liquidiert werden sollten.

Die überwiegende Zahl der für die Ermordung vorgesehenen Frauen und Männer befand sich im Polizei-Gefängnis Fuhlsbüttel. Die Informationen über die Häftlinge und noch schnell zu verhaftende Personen wurden von Nazi-Bürokraten von braunen auf rote Karteikarten übertragen. Die Namen von 13 Frauen und 58 Männern standen auf diesen Karten. Die Schreibtischmörder bereiteten die Verbrechen vor, während die Blutjustiz im gleichen Zeitraum ihre Unrechtsurteile fällte.

Am 5. Mai 1943 bereits hatte die Gestapo in Hamburg Max Kristeller verhaftet. Im Jahre 1936 hatte sich um ihn eine Widerstandsgruppe gebildet, die über Jahre hinweg der Gestapo unbekannt blieb, ehe es einem Spitzel gelang, in den Kreis einzudringen und den „Anführer“ Kristeller verhaften zu lassen. Der Oberreichsanwalt beim „Volksgerichtshof“ in Berlin klagte auch den Maler und Unteroffizier Ernst Hampel aus der Widerstandsgruppe wegen „Vorbereitung zum Hochverrat, der Feindbegünstigung und der Wehrkraftzersetzung“ an.

„Er hat in Hamburg nach Kriegsbeginn, insbesondere 1942 bei Zusammenkünften mit dem Halbjuden Max Kristeller u. a. die politische und Kriegslage im defätistischen und kommunistischen Sinn erörtert, die Niederlage Deutschlands herbeigewünscht und zum Zusammenhalten im Hinblick auf den erwarteten kommunistischen Umsturz aufgefordert“, hieß es in der Anklageschrift. Der Angeklagte habe mit Kristeller im Briefwechsel gestanden und ihn auch während eines Urlaubs besucht. Kristeller habe ihm gesagt, „der Krieg würde noch lange dauern und am Ende würde der Sieg des Bolschewismus stehen“. Im Jahre 1942 sei Ernst Hampel in Kristellers Wohnung mit Elisabeth Rose, Ada Löwe und weiteren Gesinnungsgenossen zusammengetroffen, hieß es weiter in der Anklageschrift. Im Januar 1945 verurteilte der „Volksgerichtshof“ Ernst Hampel zum Tode, er wurde am 20. April 1945 in Brandenburg hingerichtet.

Max Kristeller musste von 16 Monaten Haft 13 Monate in verschärfter Einzelhaft über sich ergehen lassen. In dieser Zeit folterte ihn die Gestapo in fürchterlicher Weise. Am 17. August 1944 rollte ein Sonderzug mit Häftlingen nach Auschwitz, die dort ermordet werden sollten – zu ihnen gehörte Max Kristeller. Auf der Todesrampe von Auschwitz konnte der Häftling während der Selektion durch einen glücklichen Umstand sein Leben retten: Kristeller stolperte und als er sich wieder erhob, konnte er den Weg zur Arbeitskolonne nehmen. Auf diese Weise entging er der Gaskammer.

Die Schneidermeisterin Elisabeth Rose war am 8. November 1910 in Hamburg auf die Welt gekommen, sie wohnte in der Gärtnerstraße 5. Der „Volksgerichtshof“ verhängte gegen sie Anfang 1945 das Todesurteil wegen „Wehrkraftzersetzung, Feindbegünstigung und Vorbereitung zum Hochverrat“. Im Urteil stand zu lesen: „Die Angeklagte hat gemeinsam mit dem halbjüdischen kommunistischen Funktionär Kristeller kommunistische Propaganda betrieben und insbesondere junge Wehrmachtsangehörige mit diesem Gift verseucht.“

Die 35-jährige Frau hatte kritische Briefe an Frontsoldaten geschrieben und illegales Material verteilt. Elisabeth Rose starb am 2. Februar 1945 durch den Henker in Berlin-Plötzensee. An ihre Mutter schrieb sie kurz vor dem Tode: „Nun ist es doch vorbei. Behüte mein Kind und seid alle tapfer, wie ich es auch sein will. Macht aus Ursel einen starken, tapferen Menschen. Hoffentlich kann sie mir einmal verzeihen, dass ich sie allein lasse. Ich habe nichts Schlechtes gewollt. Seid mir nicht böse. Sagt allen Menschen, die mich trotzdem noch lieb haben, einen letzten Gruß. Ich denke an Euch bis zum letzten Atemzug.“

Von der Gruppe Etter-Rose-Hampel fielen zwölf Personen dem Terror zum Opfer: Der Angeklagte Werner Etter wurde am 19. Februar 1945 in Brandenburg hingerichtet. Er hatte sich einen Freundeskreis geschaffen, der aus konspirativer Vorsicht dem Widerstandskreis um Max Kristeller fern geblieben war.

Erika Etter, Werner Etters Ehefrau, befand sich seit dem 17. Mai 1944 in Gestapohaft. Ihr Name stand auf den Mordlisten der Terrororganisation. Mit zwölf anderen Frauen wurde sie zwischen dem 21. und 24. April 1945 umgebracht. In das KZ Neuengamme deportiert, mussten sich die weiblichen Häftlinge ausziehen, anschließend wurden sie an zwölf Haken erhängt. Für Erika, das jüngste Opfer, fehlte der Haken. Die junge Frau wurde mit 58 Männern in einen Bunker gesperrt. Die Männer blockierten die Bunkertür und wehrten sich, als SS-Leute sie gewaltsam öffneten.

Die SS schleuderte Handgranaten in den Bunker und brachte einige Männer um. Erika Etter lag unter Mauerstücken. Die Schergen ermordeten die junge Frau mit einem Steinbrocken. Die überlebenden Männer wurden entweder erschossen oder aufgehängt. Bernhard Röhl