De Nazis nit op d‘r Schlips getrodde

Gegen ihre Gleichschaltung durch die Nationalsozialisten setzten sich die Kölner Karnevalisten zur Wehr – im Gleichschritt marschierten sie trotzdem

Von Jürgen Meyer

Der Kölner Rosenmontagszug entsprach den Erwartungen der neuen Machthaber: „Der Zug hatte nichts Improvisiertes, Volksfremdes, wie das in den Nachkriegsjahren unter den mannigfachen Einflüssen liberalistisch-marxistischer Strömungen der Fall gewesen war. Kein überladener Schmuck, kein verlogener Prunk, sondern urwüchsiger Humor, volkstümlich in der Darstellung, passte er sich ganz natürlich in den Rahmen des Volksfestes ein“, zog der Westdeutsche Beobachter am 1. März 1933 eine positive Bilanz. Begeistert konstatierte das NSDAP-Blatt: „Der Kölner Karneval war wieder ein echter Volkskarneval und keine Massenfabrikation, keine Konfektionsware aus dem jüdischen Warenhaus.“

Der Kölner Karneval im Dritten Reich wird gerne als „Ventil für den Unmut über das Unrechtssystem der Nationalsozialisten“ bezeichnet. Doch diese Betrachtungsweise gehört in den Bereich der Nachkriegslegenden. Es gab nur wenige Karnevalisten, die unerschrocken und unter zum Teil großen Risiken für sich selbst Kritik an den Nazis äußerten. Die bekanntesten sind Hans Jonen und Karl Küpper (siehe Porträt in der taz köln vom 5.2.). Ihr bisweilen unangepasstes Verhalten – das jedoch auch gewissen Einschränkungen unterlag – wird bis heute immer wieder als Aushängeschild für den gesamten kölschen Karneval im Nationalsozialismus missbraucht.

Gleichschaltung

Tatsächlich war jedoch der Großteil der organisierten Jecken schon vor 1933 ausgesprochen antidemokratisch eingestellt gewesen. Antidemokratisches Denken bedeutete für die Karnevalisten dabei ein Anti gegen die Demokratie, aber auch gleichzeitig ein Pro für einen anders organisierten Staat: Viele von ihnen waren Monarchisten geblieben und sehnten sich nach den politischen Verhältnissen im Kaiserreich zurück. Antidemokratische Denkmuster lassen sich in Büttenreden, Liedern und Karnevalszeitungen sowie bei den Rosenmontagszügen mit ihren Mottowagen nachweisen.

Zudem zeigten etliche Karnevalisten bereits zu Zeiten der Weimarer Republik eine deutliche Affinität zu völkisch-nationalistischer Ideologie. Mit ihren Verhaltensmustern und ihrer öffentlich vertretenen Meinung boten die Karnevalsaktiven ein Forum, um unter dem Mantel ausgelassener Fröhlichkeit Ideologie und „Werte“ des Nationalsozialismus zu verbreiten. Nahtlos reiht sich hier ein, dass die Prinzengarde unter Präsident Thomas Liessem, der sich später noch als „Anführer der Narrenrevolte von 1935“ bezeichnen sollte, für die Session 1933/34 die SA-Kapelle 71 verpflichtete.

Überdies wurde die Parole ausgegeben, dass „die Führer der heutigen amtlichen und kommunalen Stellen selbstverständlich in den Reden unangetastet bleiben müssen“. Der inhaltliche Gleichklang mit den Interessen der Nazis manifestierte sich auch im Antisemitismus. Bezeichnend ist hier das damals beliebte Lied „Die Jüdde wandern uss“ des Kölner Musikers und Texters Jean Müller (siehe Kasten).

Trotzdem gab es von Seiten der Partei immer wieder Versuche, den organisierten Karneval gleichzuschalten. So beauftragten NSDAP und Stadtverwaltung den Beigeordneten Wilhelm Ebel mit der Betreuung des Karnevals. Aufgrund der städtischen Zuschüsse zum Rosenmontagszug beanspruchte Ebel ein weitreichendes Mitspracherecht bei der Zuggestaltung. Geschickt nutzte er dabei die Anbiederungsversuche einiger führender Karnevalisten, um einen detaillierten Einblick in die miserable finanzielle Lage der Karnevalsgesellschaften und deren Rivalitäten untereinander zu bekommen.

„Kraft durch Freude“

Am 22. Mai 1935 holte Ebel dann zum entscheidenden Schlag gegen die Eigenständigkeit der Kölner Karnevalsgesellschaften aus. Ohne dass die Karnevalisten etwas ahnten, gab er in allen Kölner Tageszeitungen die Gründung des „Vereins Kölner Karneval e.V.“ bekannt. Die Vereinsmitglieder setzten sich vor allem aus Vertretern der Stadtverwaltung, Partei, Polizei und der nationalsozialistischen Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ (KdF) zusammen. Der neue Verein sollte mit den „Missständen“ im Kölner Karneval aufräumen. Ebel hob dabei vor allem die akute wirtschaftliche Krise des Kölner Karnevals hervor. Zudem warf er den Gesellschaften Unfähigkeit und Eigeninteresse bei der Gestaltung des Festes vor. Ebels Vorstoß traf die Karnevalisten tief.

Die „Narrenrevolte“

Noch am selben Tag verfasste Thomas Liessem eine Gegenschrift, die nach Verabschiedung durch die großen Karnevalsgesellschaften am 26. Mai 1935 veröffentlicht wurde. Darin gingen die Karnevalisten gleich von der Verteidigung zum Angriff über. Sie drohten damit, jegliche Festaktivitäten einzustellen, wenn die Verleumdungen gegen die Karnevalsgesellschaften nicht zurückgenommen würden.

Auf Einladung der Unterzeichner erschienen am 27. Mai 1935 zahlreiche Mitglieder aller Karnevalsgesellschaften und viele Kölner Bürger im großen Saal der Lesegesellschaft, um über das bisherige und weitere Vorgehen zu beraten. Anwesend waren auch Polizei und Partei, die angedroht hatten, die Veranstaltung sofort aufzulösen, wenn auch nur ein Wort gegen die NSDAP gesagt werde. In dieser äußerst angespannten Situation ereignete sich dann etwas, das unter Karnevalisten bis heute als Sensation bezeichnet wird. Noch bevor Thomas Liessem die Versammlung eröffnete, distanzierte sich Gauleiter Josef Grohé von dem Plan Wilhelm Ebels. Darüber hinaus forderte er Ebel auf, den „vorgesehenen Verein Kölner Karneval sofort aufzulösen und alle karnevalistischen Angelegenheiten den Karnevalsgesellschaften zu überlassen“.

Nach Bekanntwerden dieser Verlautbarung wurde unter dem tosenden Jubel der Anwesenden die bereits angekündigte Gründung des „Festausschusses Kölner Karneval“ unter dem Vorsitz von Thomas Liessem bestätigt.

Diese überraschende Wende legt die These nahe, dass sich die NS-Partei noch nicht stark genug fühlte, um die bereits öffentlich bekundete Meinung eines Großteils der Kölner Bevölkerung mit Gewalt zu unterdrücken. Die Kölner Presse mit Ausnahme des Westdeutschen Beobachters unterstützte im Wesentlichen die Argumente der karnevalistischen Protestschrift.

Nach dem vermeintlich erfolgreichen „Widerstand“ der Karnevalisten blieb der Kölner Karneval vorerst von weiteren spektakulären Gleichschaltungsversuchen verschont. Auch Versuche, den Karneval der „KdF“-Organisation anzugliedern, wurden abgewehrt.

Die „Narrenrevolte“, die Kölner Karnevalisten gerne als ein Paradebeispiel für Mut und Widerstandsgeist gegen die braunen Machthaber feiern, muss mit Vorsicht bewertet werden. Der Widerstand richtete sich nicht gegen das NS-Regime als solches, sondern gegen die Gleichschaltungsversuche von Seiten der „KdF“ und des „Vereins Kölner Karneval“; hier waren die Eigeninteressen der Karnevalisten betroffen. Zu diesem Zeitpunkt gab es inhaltlich kaum noch Widerstandsversuche der Karnevalisten, der direkten und indirekten Einflussnahme der Nationalsozialisten zu begegnen.

Gleichgültigkeit?

Der Gleichklang der Karnevalisten mit den Interessen der NSDAP fand seinen widerwärtigen Höhepunkt am 11.11.1938, zwei Tage nach den Pogromen der „Reichskristallnacht“. Obwohl sich „in ganz Köln Bilder wie nach einem Erdbeben“ zeigten, feierten die „Narren“ unbekümmert ihren Sessionsauftakt. War das Anpassung, bedenkenloser Opportunismus, Gleichgültigkeit? Sicher ist nur: Der Kölner Karneval im Dritten Reich war nie ein „Hort des Widerstandes“.