Heim oder Folter

Waise soll nach Ghana abgeschoben werden. 14-Jährige muss in ein Heim oder in ihre Herkunftsregion, wo Genitalverstümmelung stark verbreitet ist

„Mariam hat keinerlei verwandtschaftliche Kontakte mehr nach Ghana“

Von Eva Weikert

Heute ist der Schicksalstag von Mariam Manu: Die 14-Jährige ist vor das Hamburger Verwaltungsgericht geladen, das über ihre Abschiebung nach Ghana entscheiden wird. Die Waise, die bei ihrer Tante Aisha Schubert-Abubakari in Jenfeld wohnt und dort die Realschule Denksteinweg besucht, war 2001 aus dem afrikanischen Land geflohen und ohne Papiere nach Deutschland eingereist. Wird Mariam zurückverfrachtet, muss sie in ein Waisenhaus oder aber zu den Großeltern in ihr Heimatdorf, wo das brutale Ritual der Genitalverstümmelung und Zwangsverheiratungen an der Tagesordnung sind.

„Mariam ist minderjährig und Vollwaise, sie kann sich nicht selbst schützen“, warnt ihr Vormund Johannes Schneider. Das Bundesamt für Migration hat indes keine Skrupel, Kinder abzuschieben. Ein Asylgesuch Mariams, das deren Tante ohne Rechtsbeistand gestellt hatte, wurde abgelehnt wie auch der Folgeantrag. Heute wird der Negativbescheid vor dem Verwaltungsgericht verhandelt. Verliert Mariam, kann die Ausländerbehörde sie sofort abschieben.

Vor drei Jahren hatte ein Schlepper die damals Elfjährige nach Hamburg gebracht, wie Vormund Schneider berichtet. Die Flucht habe deren Großmutter organisiert, um sie vor „Beschneidung“ zu bewahren. Denn Mariam stammt aus dem Distrikt Navrongo im Norden Ghanas, wo der lebensgefährliche Ritus, bei dem Klitoris und Schamlippen weggeschnitten werden, weit verbreitet ist. Der Stiefgroßvater der Vollwaise halte an der verbotenen Tradition fest, so Schneider. Trotzdem ist Ghana aus Sicht des Bundesamts ein „sicheres Herkunftsland“, weiß Anwältin Sigrid Töpfer.

Aus einem internen Bericht des Auswärtigen Amtes über die „abschiebungsrelevante Lage“ in Ghana geht aber das Gegenteil hervor: Zwangsverheiratungen seien die „häufigste geschlechtsspezifische Menschenrechtsverletzung im Norden des Landes“. Auch „die Genitalverstümmelung von Mädchen“ konnte „bislang nicht unterbunden werden“. Die Beschneidung werde „vor allem in den nördlichen Landesteilen praktiziert“. Der „soziale Druck“ sei „erheblich“.

Auch wenn Mariam in den sicheren Süden abgeschoben würde, „wäre das eine Katastrophe“, so Vormund Schneider. Denn die Schülerin würde dort in einem Waisenhaus untergebracht. Außer zu den Großeltern im Norden bestünden „keinerlei verwandtschaftliche Kontakte mehr nach Ghana“, so Schneider. Und selbst von der Großmutter gab es zuletzt im Juni 2002 ein Lebenszeichen. „Es ist grausam, ein Kind in ein Land abzuschieben, wohin es keine Verbindungen mehr hat“, empört sich Mariams Lehrerin Natalie Leppert.

Den deutschen Gerichten gilt Genitalverstümmelung weder als Offizialdelikt noch als Asylgrund. Das neue Aufenthaltsgesetz räumt seit Januar allerdings erstmals die Möglichkeit ein, ein Bleiberecht aufgrund geschlechtsspezifischer Verfolgung zu gewähren. Sollte das Gericht das neue Recht heute nicht nutzen, will Anwältin Töpfer das Oberverwaltungericht anrufen.