„Die Zumutung darf sehr weit gehen“

Was kann Kunst zur Auseinandersetzung mit Terrorismus beitragen? Bleiben von den Opfern und Tätern der RAF am Ende nur abstrakte Zeichen zurück?Felix Ensslin hat die RAF-Ausstellung der Berliner Kunst-Werken mit kuratiert. Ein Gespräch über persönliche Anteilnahme und die Distanz der Bilder

INTERVIEW BRIGITTE WERNEBURG
UND HARALD FRICKE

taz: Herr Ensslin, was war das erste Bild, das Sie gesehen haben, das sich mit der RAF beschäftigte?

Felix Ensslin: Gott, Fahndungsplakate.

Und im Kunstbereich?

Das wird schon Gerhard Richters „RAF-Zyklus“ gewesen sein, 1991 in New York. Das war für mich eine Begegnung, die sehr stark war und die mir eröffnet hat, was Kunst kann. Dass es sich um Bilder handelt, die sich mit der Möglichkeit von Darstellung beschäftigen und nicht um das Faktum, also nicht um mich und meine Mutter, um es mal so zu sagen. Um die Frage nach einer Darstellungsform oder überhaupt nach dem, was darstellbar ist. Das war für mich sehr spannend, hat mich auch nicht losgelassen.

Ihr Name verbindet Sie unmittelbar mit einem RAF-Gründungsmitglied. Ist es dieser Name, der Sie als Kurator der RAF-Ausstellung in den Kunst-Werken in Berlin qualifiziert?

Der Name qualifiziert sicher nicht. Tatsächlich komme ich eher aus einem politisch-philosophischen Hintergrund, auch einem Theaterhintergrund. Zugleich beschäftige ich mich viel mit bildender Kunst und habe auch schon das eine oder andere Interview, etwa mit Jonathan Meese oder Paul McCarthy, geführt und veröffentlicht. Als die Kunst-Werke gefragt haben, ob ich mich an dieser Ausstellung beteiligen möchte, kam dazu, dass ich mich schon lange mit einigen der Kunstwerke, die hier zu sehen sein werden, beschäftigt hatte. Und es handelt sich ja auch um eine Teamarbeit: Idee und Konzept stammen von Klaus Biesenbach, dem ehemaligen Leiter der Kunstwerke, Ellen Blumenstein ist hier seit langem Kuratorin, wir realisieren die Ausstellung im Team.

Über dieses Ausstellungsprojekt machen Sie jetzt Ihre Auseinandersetzung mit der RAF notwendigerweise öffentlich?

Ich mache meine Auseinandersetzung mit Kunst, die sich mit der RAF beschäftigt, öffentlich.

Ist die Ausstellung eine Gelegenheit für die öffentliche Auseinandersetzung, oder war sie eine Verpflichtung dazu?

Eine Verpflichtung sehe ich nur gegenüber dem Haus, weil ich die Einrichtung Kunst-Werke wichtig finde. Sonst habe ich schon sehr sehr viele Angebote in meinem Leben erhalten, mich öffentlich zur RAF zu äußern. Es war eher anders herum, das Angebot hat meine Leidenschaften getroffen.

Sie haben die Zeit der RAF nur als Kind miterlebt, gleichzeitig sind Sie familiär verwickelt. Wie gingen Sie die für die Auseinandersetzung notwendigen Recherchen an? Hatten Sie direktere Quellen, über Freunde, Bekannte oder Anwälte ihrer Mutter und aus dem Umfeld der RAF, die Ihnen Auskunft gaben?

Ich habe kein privilegiertes Wissen, ich habe das auch nicht gesucht. Natürlich gibt es familiäre Verbindungen, Leute, die involviert sind, die ihre eigene Sichtweise behaupten. Aber meine Auseinandersetzung dürfte analog zu der von anderen Menschen aus meiner Generation sein, die sich für die Geschichte der RAF interessieren. Sie lief über die einschlägigen Filme, Bücher und Theorien. Hier in Deutschland ganz zentral über die Arbeiten von Klaus Theweleit.

In der Auseinandersetzung um die erste Fassung der Ausstellung wurde der Vorwurf laut, sie gehe über die Seite der Opfer einfach hinweg: Mit welchen Erwartungen von Seiten der Öffentlichkeit rechnen Sie jetzt?

Es gibt Menschen, die sind auf eine persönliche und unmittelbare Weise mit Dingen verbunden. Dazu gehören traumatische Verlusterfahrungen durch einen Mord oder eigene, auch psychische Verletzungen. Wenn diese Ereignisse eine große Öffentlichkeit haben, dann ist das eine schwierige Situation, das kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Wenn sich dann andere, in diesem Fall Künstler mit ihren Mitteln, Vorstellungen und kreativen Zielen mit diesen Ereignissen beschäftigen, eben weil es diese Öffentlichkeit gibt, dann ruft das etwas ab. Das ist unhintergehbar.

Was meinen Sie damit konkret?

Meine zentrale Erfahrung war in den 80er-Jahren Margarete von Trottas Film „Die bleierne Zeit“. Ich wurde mit den Bildern einer Figur konfrontiert, die ich sein sollte und die falsch dargestellt war. Ich hatte einen Unfall, es gab kein Attentat auf mich. Aber wenn Margarete von Trotta das so darstellte, dann reflektierte sie auf einen allgemeinen Diskurs. Das kann sie tun – auch wenn mich das wütend gemacht hat. Ähnlich ist sicher die Ambivalenz einer Ausstellung, die das reale, traumatische Leben nicht ignorieren kann, es selbst aber nicht zum Thema macht.

Sondern?

Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass wir einerseits die Medienleiste zeigen. Die Bilder, die zur Zeit der Ereignisse in der Öffentlichkeit kursierten, über die Massenmedien, Zeitungen, Fernsehsendungen oder Magazine. Und dass wir uns dann darauf beschränkt haben, die vorhandenen künstlerischen Reaktionen und Reflexionsprozesse zu zeigen und zu dokumentieren. Schwieriger hätte ich es gefunden, wenn wir versucht hätten herauszufinden, was passiert, wenn wir zehn Gegenwartskünstlern sagen: Beschäftigt euch mit dem Thema.

Interessiert sich die Kunst eigentlich für die Opfer? Was haben Sie da beobachtet?

Aus meiner Position heraus kann die Kunst neben der Medienrealität jeweils einzelne, vereinzelnde Zugriffe leisten, Distanz schaffen, abstrahieren. Sie muss denjenigen, der durch die Ausstellung geht, in seine eigene Verantwortung entlassen. Eine wichtige Arbeit, zu der man aber ambivalente Reaktionen schon zitieren kann, ist zum Beispiel Hans Peter Feldmanns „Die Toten“, die ich sehr wichtig finde. Ich glaube auch, dass eine Arbeit wie die von Dara Birnbaum in diesen Zusammenhang gehört. Auf einer Reihe von Monitoren ist bei ihr die Nachrichtenproduktionen zum Deutschen Herbst in bestimmter Weise zusammengeschnitten, die in einer bestimmten Lautstärke auf den Betrachter eindringt. Aber der Betrachter kann, indem er durchgeht, auch einzelne Monitore ausstellen. Er hat also eine gewisse Verfügung über die mediale Flut. Diese Arbeit sieht den Betrachter nicht als das arme Opfer der Medien, sondern verhandelt auch seinen Zugriff, seine Verantwortung.

Ein kardinaler Punkt in der Geschichte der RAF ist die Reaktion des Staates auf den Terrorismus. Ist das auch eine Thema für die Künstler?

Überraschenderweise nicht so sehr. Es gibt natürlich eine Unmenge von Agitpropkunst aus den 70er-Jahren. Aber die ist nicht in der Ausstellung, weil sie einfach nicht besonders gut ist. Es gibt die Plakate von Staeck, die sich eher reflexiv auf den Diskurs in der Öffentlichkeit beziehen. Es geht ja immer wieder um diese reflexiven Momente. Johannes Kahrs stellt zum Beispiel ein berühmtes Bild von Ulrike Meinhof neben ein Bild aus „Taxidriver“. Es wird hier der Nexus von öffentlichen und privaten Phantasmen verhandelt, viel mehr als historische Fakten. Die Kunst reflektiert einen phantasmatischen Raum.

Neben den Künstlern aus der Generation der RAF selbst gibt es die Ihrer Generation und noch jüngere. Wie unterscheiden sich deren Zugänge?

Ich glaube, in den Arbeiten der jüngeren Künstlern gibt es eine größere Distanz. Bei Sue de Beer wird nicht die RAF reflektiert, sondern das abstrakte Zeichen, von dem Theweleit spricht. Es geht darum, welche Funktion die Bezugnahme auf Ulrike Meinhof bei de Beer für die Identitätsfragen amerikanischer Jugendlicher hat. Die Bezugnahme auf die bereits ikonografisch gewordenen Figuren ist doch ziemlich weit entfernt vom ursprünglichen Gegenstand, das ist schon mehrfach gebrochen. Das könnte man nicht finden bei der ersten Generation.

Das würde darauf hinauslaufen, dass diese Bilder einen politischen Gegenstand haben, aber keine politischen Bilder sind?

Das setzt so viel voraus, diese Frage. Das setzt voraus, dass man die RAF ausschließlich oder hauptsächlich als politisches Phänomen liest. Erstens. Es setzt voraus, dass die Vermittlung der Bilder der RAF über die Medien – das ist es, wie es die meisten mitbekommen haben, im übrigen auch die meisten Linken – die Vermittlung von Politik ist. Ich glaube nicht, dass das stimmt.

Wo empfinden Sie künstlerische Zugänge zur RAF als eine Zumutung? Und darf eine solche Zumutung auch in der Ausstellung auftauchen?

Für mich kann Kunst nicht so funktionieren, dass sie sich einen Topos vornimmt und ihn dann – sei es pädagogisierend, sei es in erzählerischer Form – zum Konsum freigibt. Das wäre vielleicht die Zumutung, von der Sie sprechen. Ein solcher Zugang ist auch unpolitisch. Wo Lücken zugedeckt und Identitäten festgehalten werden, soll dieses Verhältnis durch die Arbeiten gebrochen werden. Da darf die Zumutung sehr weit gehen. Christoph Draeger, der ungefähr meine Generation ist, hat in einer Arbeit auf vier Videomonitoren die Zellen der vier, die in Stammheim versuchten Selbstmord zu begehen, rekonstruiert. Aber die Monitore sind nicht einfach zugänglich. Sie stehen hinter einer Wand. Der Besucher muss wie bei einer Peepshow durch ein Loch schauen. Er muss also auch entscheiden, ob er will, dass jeder sieht, dass er sehen will. Die Position des Betrachters ist das Wesentliche, das hier mitverhandelt wird.

Obwohl die Ausstellung eine reine Kunstausstellung ist, wird sie nicht nur ein Kunstpublikum interessieren. Wie vermittelt man ihr Anliegen einem Publikum, das nicht unbedingt über entsprechende Erfahrungen verfügt? Haben Sie sich besondere Strategien überlegt?

Ich glaube, wesentlich ist, dass die Ausstellung nicht leugnet, dass es um Ereignisse geht, die einen realen Hintergrund haben. Das wird dokumentiert. Wir haben einen Archivraum, eine Art überdimensionierter Handapparat. Dort sind Artikel, Bücher, Filme, Fernsehsendungen versammelt. Der Raum verweist darauf, dass die Arbeit nicht getan ist, indem man eine Ausstellung besucht. Gleichzeitig denke ich, das durch den Dialog, vielleicht auch das Geschrei, zwischen den Arbeiten der Erkenntnisprozess auch für einen ungeübten Kunstbetrachter in Gang gesetzt wird.