Geschichte wird gemacht

68ER-REVOLTE Wie Konservative versuchen, mit der Stasiakte Kurras die Geschichte der Studentenbewegung zu ihren Gunsten umzudeuten

BERLIN taz | Die Geschichte der Bundesrepublik muss umgeschrieben werden, weil der Schütze des 2. Juni 1967, Karl-Heinz Kurras, ein Stasispitzel war. So steht es derzeit in Blättern des Springer-Konzerns, der damit eine durchaus eigennützige Geschichtsbegradigung betreibt. Denn 1967 führten Bild & Co eine regelrechte Hetzkampagne gegen die Studentenbewegung an. Nachdem Kurras den Studenten Benno Ohnesorg erschossen hatte, attackierte Bild die Studenten als „Terroristen“, die von der DDR gelenkt wurden.

2009 schlägt das Springer-Blatt exakt den gleichen Ton an. Die „Demonstrationen, Unruhen, brennenden Barrikaden, ja selbst der Tod von Rudi Dutschke“ war das Werk von Stasi und SED, heißt es triumphierend in einem Kommentar der Bild-Zeitung. Doch der Fall Kurras ist komplizierter, als die ewigen Kalten Krieger wahrhaben wollen. Denn die Lektüre der Stasiakten zeigt: Nichts spricht dafür, dass der Waffennarr Kurras mit Wissen oder gar im Auftrag des DDR-Geheimdienstes schoss. Das Ministerium für Staatssicherheit suchte vielmehr selbst vergeblich eine Erklärung, warum ihr Topagent in Westberlin plötzlich zum Killer geworden war.

Bommi Baumann, Exmitglied der terroristischen „Bewegung 2. Juni“, sagt im taz-Interview zu Kurras’ Stasitätigkeit: „Das ist eine gespenstische Geschichte.“ Und: Wenn die Verbindung von Kurras zum Ministerium für Staatssicherheit schon 1967 bekannt gewesen wäre, dann „wäre Kurras kaum freigesprochen worden“.

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