„Ich bin Marek. Rudi hätte das gefreut“

Marek Dutschke, 24, jüngster Sohn von Rudi Dutschke, hat seinen Vater nie kennen gelernt. Dafür begleitet ihn dessen Name, der hierzulande mächtige Assoziationen weckt. Ein schwieriges Familienerbe? Marek weiß es nicht so genau. Ein Ziel, sagt er, sucht er noch – sein eigenes

VON JAN FEDDERSEN

Er lebt in Berlin, nicht in den USA. Könnten wir uns verabreden? Um ein Porträt über ihn zu schreiben. „Über mich?“ Ja. „Meine Mutter ist auch gerade hier. Wäre das nicht lohnender?“ Danke, aber ihn kennt man doch am wenigsten. Den Sohn von Rudi Dutschke, den Jüngsten, der erst geboren wurde, nachdem sein Vater starb, am Heiligen Abend 1979.

Der Marek heißen sollte, wie es in seinem Büchlein „Spuren meines Vaters“ zu lesen steht, weil dies, so wird es vom großen Rudi überliefert, der Name vom „zweitwichtigsten Mann“ der Kommunistischen Partei Österreichs während der Dreißigerjahre ist. Der Sohn der Dutschkes sagt am Handy: „Okay, wir können uns sehen.“

Wir treffen uns in einem Café in Berlin-Mitte. Er steht pünktlich am vereinbarten Punkt. Die Leute schlendern und stöbern, trinken Glühwein und essen Bratäpfel, alles ein bisschen öko und gewiss kein Markt der lauten Töne. Das Dorf Mitte kriegt jetzt viel Besuch. Des Weihnachtsmarktes wegen. „Ich finde das Kommerzielle nicht gut.“

Er sieht ziemlich gut aus. Aller Ruhe zum Trotz umweht ihn eine Wachheit, die jedenfalls nicht schlecht ist, um mal zu gucken, was es mit einem Interview über seine Persönlichkeit so auf sich hat: „Ich bin neugierig.“

Klein ist er eher, 1,73 Meter. „Es ginge noch kleiner“, sagt er; etwas wuschige, brünette Haare, den Kopf immer eine Winzigkeit zur Seite geneigt. Als möchte er skeptisch, jedenfalls abwartend bleiben. Wer will, erkennt seinen Vater auf Anhieb, ein Antlitz, sein Gesicht ganz junger Jahre. Das Gesicht eher blass, die Nase knubbelig, die Augen dunkel. Er kann sehr angucken, sein Blick weicht nie aus. Und er macht keine Geste der Abwehr, Marek Dutschke ist sich selbst sicher.

Kann er sagen, weshalb er von seinen Eltern als Gretchen und Rudi spricht? „Aber es waren Gretchen und Rudi!“ Andere Kinder sprechen ihre Mutter und ihren Vater mit Mama und Papa an. „Oh, es wurde in meiner Familie immer von Rudi gesprochen, und Gretchen nenne ich ja auch nicht Mama.“ Das habe mit Erziehung zu tun, sie, seine Mutter, habe mit ihm „auf Augenhöhe“ sprechen wollen, ihn ermutigen, selbstständig zu werden, ihn nicht abhängig halten, Marek Dutschke sagt „unmündig“. Die traditionelle Titulierung hätte nur Reife verhindert. Aber sind Abhängigkeit und Geborgenheit nicht, wenigstens am Anfang des Lebens, viel wichtiger als ein Gefühl von Verantwortung? „Klar“, sagt Marek Dutschke, „am Anfang des Lebens ist das bestimmt so.“

Nervt es ihn, immer nach seinem Vater befragt zu werden? Er denkt nach. Und erwidert, dass er ja, als er von Amerika nach Deutschland kam, überhaupt nichts von der Berühmtheit wusste, die sein Vater in Deutschland hatte und noch hat. „Ich musste mich selbst erst durch Literatur schlauer machen.“ Wie hat er sich als Kind seinen Vater vorgestellt? „Gar nicht, zuerst.“ Aber dann, „beim Einschlafen im Dunkeln“, da hat er ihn sich ausgemalt, „wer könnte das sein?“ Eine gewisse Wehmut habe er empfunden. Oft. Doch auch eine Furcht, wenn er dessen Stimme hörte, vom Band, im Fernsehen, in Filmen. „Ich dachte, ich muss mich nun stellen, wenn ich ihn hörte.“ Wem oder was? „Ich weiß es nicht.“

Wenn er selbst einmal Kinder hat, wäre es ihnen denn erlaubt, ihn als Papa anzurufen? Marek Dutschke zögert leicht, sagt, dass er keine Vorschriften machen möchte, „ja, okay, das dürften sie natürlich“. Freilich, so sagt er später, sei dieser Name, Papa, auch ein Teil der Verbürgerlichung, der er nicht zum Opfer fallen will. Vorsichtig gefragt: Was ist denn so schlimm daran, bürgerlich zu werden? „Ich glaube, ich möchte mich nicht abfinden mit den Sachen, die auf der Welt passieren, ich möchte zeigen und fühlen, nicht einverstanden zu sein.“

Wie empfindet er denn, dass sich seine Geschwister, Hosea Ché und Polly (siehe Kasten), in Dänemark in sehr familiären, traditionellen Verhältnissen zurechtfinden? „Das ist in Ordnung. Ja, das ist okay.“ In Gedanken ist Marek Dutschke schon dabei, mit dem Bus nach Århus zu fahren, mit seiner Mutter Gretchen, um Weihnachten in der Familie zu feiern, mit Geschwistern, Neffen und Nichten, kreuz und quer, Verwandtschaft überhaupt.

Geschenke? „Wir haben ausgemacht, jedes Jahr nur einem etwas zu schenken. Die Kinder ausgenommen. Dieses Jahr ist mein Bruder dran.“ Ist Geschenke zu machen schön? „Ja, das ist es. Besonders für Kinder.“ Seine Schwester, er erwähnt es nebenbei, erwartet gerade ihr erstes Kind.

Welches Geschenk wird er Hosea Ché machen? „Das überlege ich noch.“ Könnte sein, dass er erst in Århus eines besorgt. Er hat ja nicht viel Geld, muss sparsam sein, kann und will sich nicht alles erlauben. Ein Tannenbaum, geschmückt, leuchtend – wird es diese Insignie des wichtigsten Familienfestes im Jahr auch in seinem Kreis geben? „Ich schätze ja, die Kinder finden es toll.“ Und er? „Ich auch.“

Eigentlich heißt er ja Rudi-Marek, aber so wurde er nie genannt. Marek, das reichte. Marek Dutschke, ein Name, der in den USA keine Rolle spielte – aber in Deutschland mächtige Assoziationen weckt. Weiß er inzwischen, wer sein Vater ist? „Ich kann es nicht wissen, aber ich nehme ihn, wie er sein könnte.“ Ein Mann, der argumentierte, der revoltierte, der seinen Weg ging. Ist heiraten nicht blöd? „Meine Eltern haben doch auch geheiratet, 1966, als viele dachten, das sei bürgerlich.“ Aber es müsse Liebe gewesen sein. Würde er selbst gerne einmal heiraten, Marek Dutschke, der Single? „Nicht so bald, bestimmt nicht, aber es muss keine Heirat sein. Ich glaube, wenn das passiert, würde ich nicht mehr suchen.“ Eine Liebe? „Die nicht, vielleicht anderes.“ Auf eine sehr verhaltene Weise scheint durchzuschimmern, er folge einer elterlichen Sicht. Nicht aufzugeben, nicht klein zu sein, sich nicht einvernehmen zu lassen und einen anderen Horizont zu suchen. Bloß nicht das Übliche.

Empfindet er es als Last, dass viele ältere Menschen Rudi Dutschke, den Studentenführer, schon in dessen jüngeren Erwachsenenjahren als intellektuell fest und kraftvoll erlebten? Dass er, Marek Dutschke, sein jüngster Spross, so alt ist wie sein Vater, als der schon wie ein Tribun wirkte? „Nein, ich glaube nicht.“ Selbst hat er ja zwei akademische Abschlüsse, amerikanische, Bachelor of Arts in Politik und Germanistik, arbeitete bei der Grünen-Bundestagsfraktion, jetzt als Hospitant im Auswärtigen Amt, wo er, so sagt er, der Einzige ist, der keine Krawatte trägt. „Ich bin zufrieden.“

Angenommen, es wäre möglich, dass sein Vater zu ihm spräche und fragte: „Marek, wer bist du?“ Was könnte er sagen? „Ich werde sagen: ‚Oh, Rudi, ich suche noch, ich weiß noch nicht genau, was ich will.‘ “ Als er dies sagt, wirkt Marek Dutschke so, als könnte dies seinen Vater vielleicht nicht überzeugen, aber wenigstens Respekt verschaffen. Einer, der noch Spuren liest. Der von Zweifeln sich nicht einschüchtern lässt. Und der ziemlich genau zu wissen scheint, dass ausgetretene Wege zu gehen nicht gerade dem eigenen Weg förderlich ist.

Weihnachten ist sehr nah. Heiligabend ist der Tag, an dem sein Vater starb an den Folgen eines Attentats eines aufgehetzten Bürgers. Spielt es für die Traurigkeit um den Verlust am Vater Rudi an Weihnachten eine Rolle, dass es eben zum 24. Dezember passierte? „Nein, das erinnere ich nicht. Meine Geschwister haben nicht drüber gesprochen und meine Mutter auch nicht.“

Den Vorschlag, nach all dem Privaten könne man nun gerne über Krieg und Umweltschutz reden, das würde die Leser bestimmt auch interessieren, beantwortet er mit einem ziemlich frischen Lachen. Schaut auf sein Büchlein und sagt, er hätte damals, vor vier Jahren, als es herauskam, als es nötig war, seinem Vater Ehre zu erweisen, weil mit Joschka Fischers öffentlich verhandelter Geschichte früher Spontijahre auch die Ära seiner Eltern moralisch in Misskredit gezogen wurde, da hätte er mit keinem Satz über solche Fragen öffentlich etwas gesagt. „Das war mir ja nicht vertraut, mich auf diese Weise mit meinem Vater auseinander zu setzen.“

Im Buch seiner Mutter Gretchen steht, als sie schwanger mit dem späteren Marek war, habe Rudi, der Vater, gefragt, ob das denn zu schaffen sei. Wie empfindet Marek, der 24-Jährige, diese Notiz aus der Zeit vor ihm? „Diese Erzählung kannte ich nicht. Und es war ja auch wirklich die Frage, ob das zu schaffen sei.“ Sein Vater litt gesundheitlich extrem unter den Folgen des Attentats. Doch reicht das als Erklärung dafür, dass er, Marek, nicht sein sollte? Er denkt nach, lange sagt er nichts. „Ich bin da. Und es hätte ihn gefreut.“

Er will, das betont Marek Dutschke sehr, unbürgerlich bleiben, das Kommerzielle von sich weisen und einen Weg gehen, der auf alle Fälle nur seiner ist. Jedenfalls sagt er beim Abschied, dass seit zwei Tagen seine Mutter da sei. Eingeflogen aus Boston, um gemeinsam nach Dänemark zu fahren. Und es klingt ein wenig typisch nach Sohn, wenn er verschweigt, dass sie einander, wie es sich gehört, gelegentlich auf die Nerven gehen. Aber sagt, dass sie, bei aller Kritik an George W. Bush und seinem Wahlsieg, doch die Dinge sehr schwarz-weiß sehe. Er bevorzuge, man hört seine Liebe zu Amerika heraus, den Blick auf das Differente. Es sei in Amerika alles nicht so, wie man in Deutschland sage, keinesfalls drohe das Schlimmste, was auch immer das sein solle.

War es okay, für eine Familiengeschichte über die Dutschkes ihn, nicht seine Mutter zu befragen? „Ja.“