Sie blieb standhaft bis zum Ende

„Ich weiß, dass alle Qualen erst mit meinem Tod enden“: Der Leidensweg der Hamburger Widerstandskämpferin Irene Wosikowski führte sie über Gestapo-Folterkeller in Marseille und Fuhlsbüttel nach Plötzensee. Dort wurde sie vor 60 Jahren ermordet

Im Juli 1943 verhaftete die Gestapo in Marseille eine 33-jährige Frau, die sich Paulette Monier nannte. Sie war Mitglied einer deutsch-französischen Widerstandsorganisation, stammte aus Hamburg und hieß in Wirklichkeit Irene Wosikowski.

Trotz der großen Gefahr hatte sie über längere Zeit erfolgreich Widerstand leisten können. Wosikowski hatte mit falschen Papieren Anschluss an die französische Resistance gefunden und die gefährliche Aufgabe übernommen, Gespräche mit deutschen Soldaten zu führen, um diese zum Nachdenken über den Völkermord zu bewegen.

Bei dieser Tätigkeit geriet die junge Frau an einen Marinesoldaten, der ein Spitzel war und sie an die Gestapo auslieferte. In der Paradiesgasse der zweitgrößten französischen Stadt befand sich die Folterstätte der Gestapo – in einem Gebäude, das zuvor einer jüdischen humanitären Vereinigung gehört hatte. Trotz heftiger Folterungen und grauenhafter Martern weigerte sich Wosikowski standhaft, ihren Namen und diejenigen ihrer Kampfgenossen aus dem Widerstand preiszugeben. Im Keller ihrer Folterer wurde die junge Frau sogar „gekreuzigt“.

1949 erschien in der Ostberliner Wochenschrift Die Weltbühne ein Artikel mit dem Titel „Das Verbrechen an Irene Wosikowski“. In diesem Bericht schilderte der Verfasser drastisch die brutalen Misshandlungen der Folterknechte an Irene Wosikowski: „Mit Ketten um die Handgelenke wurde sie vermittels eines Flaschenzuges an der Wand hochgezogen, so dass sie sich gerade noch mit den Fußspitzen auf die Erde setzen konnte. So ließ man sie ohne Nahrung, ohne einen Tropfen Wasser 48 Stunden im grellen Licht einer Jupiterlampe hängen. Als man Irene abnahm, war sie ohnmächtig.“

Weiter steht in diesem Artikel zu lesen: „Wie ein Sack wurde Irene ins Vernehmungszimmer geschleppt und in diesem jämmerlichen Zustand, halb verhungert und verdurstet, einem vierstündigen Kreuzverhör unterzogen. Irene blieb standhaft. Sie hätte 30 und wohl noch mehr deutsche, französische und andere ausländische Widerstandskämpfer mit ihren Familien ins Unglück stürzen können ... Das Einzige, was sie im Verhör zugab, war ihre eigene Identität, nachdem die Gestapo diese selbst festgestellt hatte. Sie blieb standhaft in Marseille. Sie blieb standhaft in Paris ... Sie blieb standhaft in Hamburg. Sie blieb standhaft vor dem ‚Volksgerichtshof‘. Sie blieb standhaft in einer der schwersten Stunden in Plötzensee.“

Der Autor dieser Schilderungen hieß Lex Ende, geboren im Jahre 1899. In die KPD trat er 1919 ein und arbeitete danach für verschiedene Parteizeitungen als Chefredakteur. Im Jahre 1928 warf ihm die KPD-Führung vor, ein „Versöhnler“ zu sein – die Schmähvokabel für eine Gruppe kritischer KPD-Mitglieder. Ende musste daraufhin die journalistische Arbeit beenden und emigrierte. Bis 1945 überlebte er illegal im französischen Exil.

Im April 1946 gründete die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) in Ostberlin das Neue Deutschland – bis zum Juni 1946 leitete Ende die Zeitung. Am 24. August 1950 begann die SED mit einer „Säuberung“ der Parteiführung. Lex Ende gehörte als Westemigrant und wegen Verbindungen zu einem angeblichen US-Agenten zu den Verdächtigen, wurde aus der SED ausgeschlossen und zum Betriebsbuchhalter degradiert. Er starb am 15. Januar 1951.

Wie Ende in der Weltbühne berichtet hatte, führte der Leidensweg von Irene Wosikowski über Paris nach Hamburg. In der Hansestadt erhielt der SS-Untersturmführer Heinrich Teege als offizieller Beauftragter für die „Bekämpfung des Kommunismus“ den Auftrag, die Folterung der jungen Frau fortzusetzen. „Ich weiß, dass alle Qualen erst mit meinem Tode enden. So wünsche ich schon, er würde nicht allzu lange auf sich warten lassen“, flüsterte Irene Wosikowski unbemerkt ihrer Freundin und Mitgefangenen Barbara Dollwetzel zu. Dollwetzel konnte als Kalfaktorin in der Gestapo-Haftanstalt Fuhlsbüttel ihren Mitgefangenen helfen, sie überlebte den Nazi-Terror.

Am 2. Mai 1944 schrieb Irene Wosikowski ihrer Mutter Alice, die KPD-Bürgerschaftsabgeordnete gewesen war, einen Brief. Darin erklärte sie, weshalb sie nicht wolle, dass ihre Mutter zum Prozess nach Berlin fährt: „Falls es da nun noch zum Allerschlimmsten kommt, so ist es für Dich natürlich traurig, und ich stelle mir vor, dass Du nicht ganz ruhig bleibst. Die Folge wird sein, dass auch ich ein wenig weich werde. Aber das will ich nicht. Meinetwegen und wegen dessen, was mich erwartet, habe ich noch keine Träne vergossen und werde es auch nicht tun.“

Irene Wosikowski schrieb weiter, dass sie sich in ihrer Zelle die Zeit damit vertreibe, vergangene Zeiten Revue passieren zu lassen. „Früher dachte ich, ich würde später meinen Enkeln davon erzählen können. Daraus wird jetzt wohl nichts mehr werden, ich hätte mit dem Kinderkriegen eher anfangen müssen“, setzte die Gefangene hinzu.

Irene Wosikowski, geboren am 9. Februar 1910, starb – verurteilt vom NS-Volksgerichtshof – am 27. Oktober 1944 durch den Henker im Zuchthaus Plötzensee. Das Grab der Ermordeten befindet sich auf dem Ohlsdorfer Friedhof im Ehrenhain für Widerstandskämpfer, unweit des Haupteinganges.

Der Marinesoldat, der Irene Wosikowski an die Gestapo ausgeliefert hatte, wurde 1945 von einem Gericht freigesprochen, weil er „rechtmäßig“ gehandelt habe. Der berüchtigte Folterer Heinrich Teege kam mit vier Jahren Zuchthaus davon. Bernhard Röhl