Eine Stadt vergisst sich

Die Leute kaufen Fisch lieber im Supermarkt. Die jungen Männer gehen lieber zur Marine

AUS ECKERNFÖRDE SANDRA LÖHR

Die Fische sind überall. Neben der Heizung, an der Wand und sogar auf der Visitenkarte von Katharina Mahrt. In ihrem kleinen Grafikatelier, gleich hinter dem Hafen, hängen überall selbst gemalte Bilder von goldgelben Sprotten. Gra-Fisch hat sie ihr Büro genannt. Dabei geht es der blonden Frau Anfang vierzig gar nicht um die Fische. Und auch nicht darum, dass die hier in Eckernförde schon längst nicht mehr im großen Stil geräuchert und in alle Welt verschickt werden. Nein, Katharina Mahrt geht es um was ganz anderes: „Da wird in der Stadt, die einmal berühmt für ihre Fischräuchereien war, einfach so und nur weil ein Beamter vor zwei Jahren einen Fehler gemacht hat, die letzte intakte Räucherei abgerissen, damit auf dem Grundstück Leute mit viel Geld ihre freie Sicht aufs Meer haben – und keiner regt sich darüber auf!“, sagt sie entrüstet. „Ich finde das so fatal.“

„Ich weiß einfach nicht, was in den Köpfen der Leute vorgeht“, sagt sie und breitet auf ihrem Schreibtisch Zeitungsartikel, Broschüren, Faxe und Baupläne aus, die all das dokumentieren, wofür sie und eine Hand voll anderer Leute in Eckernförde kämpfen. Ein Unternehmen, das eigentlich schon verloren ist, aber aufgeben kommt für Katharina Mahrt nicht infrage. Vielleicht weil sie die Tochter eines alt eingesessenen Eckernförder Fischers ist und weil sie die Stadt so gut kennt. Beim Erzählen wirft sie ab und zu ein Lachen ein und schüttelt den Kopf, so als wäre sie selbst immer wieder aufs Neue erstaunt, wie absurd und voll von Klischees die ganze Geschichte eigentlich ist.

„Es ist schon zu viel Altes in Eckernförde verschwunden nach dem Motto: Altstadt kracht – Bargeld lacht“, klagt Katharina Mahrt. Und bei dieser letzten Räucherei nehme die Stadt das einfach so hin. Die Stadt sagt, man könne nichts machen, weil es kein Geld gebe, um das Grundstück zurückzukaufen. „Es reicht einfach“, sagt Katharina Mahrt und so, wie sie das sagt, spürt man, dass sie sehr hartnäckig sein kann.

Eckernförde an der deutschen Ostseeküste, gleich hinter Kiel gelegen. Dahinter kommt nur noch Flensburg und dann die dänische Grenze. Eine kleine, ruhige Stadt mit 23.000 Einwohnern, die hauptsächlich vom Marinestützpunkt der Bundeswehr und vom Tourismus lebt. Die Orte und Landschaften, die um die Stadt verstreut sind, tragen skandinavisch klingende Namen wie Gammelby, Borby und Windebyer Noor. Im Fernsehen gibt es Hollywoodfilme mit dänischen Untertiteln. Hier war einmal Dänemark. Aber das ist lange her.

Nicht ganz so lange ist es her, dass die Stadt vom Fischräuchern lebte. Um die Jahrhundertwende war Eckernförde das größte Räuchereizentrum im gesamten Ostseeraum. Sprotten und Schillerlocken wurden sogar in die USA exportiert. Doch dann kam der Krieg und danach der Wohlstand. Die Menschen kauften ihren Fisch lieber als abgepackte Tiefkühlware aus dem Supermarkt, und die jungen Männer von Eckernförde gingen lieber zum nahe gelegenen Bundeswehrstützpunkt, um ihr Geld zu verdienen.

Jetzt kommen jeden Sommer die Touristen, die den Strand und den Hafen bevölkern. Doch im Winter liegt die Strandpromenade wie ausgestorben da. Gleich gegenüber blinken die roten Signallichter des Marinehafens, und wo in anderen Seestädten direkt am Meer den Touristen Ansichtskarten, Strandutensilien, Eis oder dicke Wollpullover gegen die raue Seeluft verkauft werden, zieht sich in Eckernförde eine fein abgezirkelte Wohnanlage aus rotem Stein an der Bucht entlang. Ordentlich und akkurat reihen sich hier Mehrfamilienhäuser aneinander, von denen fast jeder Balkon aufs Meer rausgeht. Auf der schmalen Grasfläche vor einem Haus steht „Betreten verboten“ und ein paar Häuser weiter liest man: „Radfahren und Skaten verboten“.

Die einzige Unterbrechung in der schnurgraden, steinernen Häuserfront bieten ein altes reetgedecktes Haus und ein größeres Gebäude mit zwei alten Ziegelschornsteinen – die alte Sprottenräucherei Föh. Doch das soll sich bald ändern. Das kleine, alte Haus darf bleiben, das größere soll abgerissen werde. Es soll Platz machen für neue Wohnanlagen und neue Meerbalkone für Leute, die so etwas bezahlen können. „Wenn es so weitergeht und diese beiden letzten Schornsteine am Strand auch noch abgerissen werden, wird Eckernförde irgendwann total gesichtslos“, sagt Katharina Mahrt.

Die alte Räucherei hat es nur einem Zufall zu verdanken, dass es sie überhaupt noch gibt. Vom letzten Besitzer, einer Installationsfirma, als Lagerraum benutzt, blieben die alten Räuchereianlagen intakt. Doch vor einiger Zeit wurde das Haus verkauft. Die Untere Denkmalschutzbehörde blieb tatenlos und gab das Haus für den Abriss frei – aus Versehen sozusagen.

Immer wieder zeigt Katharina Mahrt auf den Brief, in dem steht, wie wertvoll das ganze Ensemble ist. Geschrieben hat ihn Doktor Deert Lafrenz von der Denkmalschutzbehörde in Kiel, der mittlerweile das Innenleben der Sprottenräucherei Föh dokumentiert hat. Er nennt das alte Gebäude eine „imposante Konstruktion, wie es sie in dieser Form in Eckernförde wohl nicht ein zweites Mal gibt“. In seinem Inneren finden sich unter anderen eine preußische Kappendecke und eine komplette Reihe von Räucheröfen. Sachen also, die heute niemand mehr bauen würde und die durch den Abriss einfach verloren gingen.

„Ohne Zweifel handelt es sich um ein ganz außerordentliches und einmaliges Zeugnis der Eckernförder Fischereigeschichte, damit auch um ein Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung“, schreibt Denkmalschützer Lafrenz und warnt, der Abbruch wäre für die historische Altstadt ein schmerzlicher Verlust.

Katharina Mahrt versteht nicht, wie es sein kann, dass trotzdem alles verschwinden soll. Sie wandte sich an die Stadt, doch ohne Erfolg. Man habe leider kein Geld, das Grundstück zurückzukaufen, hieß es, obwohl sich Bürgermeisterin Susanne Jeske-Paasch persönlich für das Projekt einsetzte. Der Altstadtverein, den Katharina Mahrt 2001 mit gründen half und der nun mit ihr zusammen für das Alte in Eckernförde kämpft, führte viele Gespräche mit dem Investor und mit Stiftungen, die in letzter Minute vielleicht doch noch etwas hätten bewirken können. Aber spätestens im Januar werden die Schornsteine trotzdem fallen, und damit wird eines der letzten Zeugnisse, die an Eckernförde als Stadt der Sprottenräucher erinnern, wohl verschwinden.

„1945 war der Hafen hier noch brechend voll mit Fischkuttern“, erinnert sich Hartmann Hesse. 30 Jahre seines Lebens hat er damit verbracht, Fische zu räuchern. Jeden Morgen ist Hartmann Hesse zuerst zum Hafen gefahren, hat die schweren Fischkisten in die Räucherei gebracht, ist dann in den Wald gefahren, um Buchenholz für die Öfen zu holen und hat dann mit viel Erfahrung und Augenmaß die Kieler Sprotten, die zwar aus Eckernförde kamen, aber trotzdem nicht so hießen, geräuchert. „Es war eine harte Arbeit“, sagt er. Täglich 10 Stunden im Rauch zu stehen, das Holz klein schlagen, den Ofen auf 60 bis 70 Grad vorheizen, um die Fische so zu räuchern, dass sie eine knusprige, goldgelbe Färbung annahmen.

Auch, als es schon längst andere Verfahren gab, machte er so weiter. Hartmann Hesse hatte keine Lust, mit Maschinen zu arbeiten, bei denen man die Fische nur oben reinschüttete, eine Uhr stellte und die fertig geräucherten Sprotten dann nach ein paar Stunden einfach wieder herausholte. Doch irgendwann, als er zu alt für die schwere Arbeit wurde, gab er auf.

Heute gibt es in Eckernförde keine einzige Räucherei mehr, die noch so arbeitet. Hartmann Hesses Arbeit haben heute schon längst die Maschinen übernommen, und bald wird es keinen mehr geben, der noch weiß, wie man Sprotten von Hand räuchert.

Deswegen will Katharina Mahrt, dass diese alte Tradition wenigstens in einem Räuchereimuseum überlebt, in dem man Touristen zeigen könnte, wie die Kieler Sprotten einmal geräuchert wurden. Aber dafür, dass dieses Museum Platz in dem alten Gebäude an der Strandpromenade findet, ist es wohl bereits zu spät. Es gibt einfach keine Lobby für etwas, das an eine vergangene Zeit erinnert.

„Man muss das Ganze auch mal unter vernünftigen, ökonomischen Gesichtspunkten betrachten“, sagt Martin Reinmöller und zuckt mit den Schultern. Er arbeitet als Touristikmanager und hat sein Büro in einem quadratischen Flachbau an der Strandpromenade. „Was baufällig ist, muss eben weg“, sagt er und auch, dass er Realist sei.

Wenn nicht noch ein Wunder passiert, dann sieht es schlecht aus für Katharina Mahrts Pläne. Im Januar wird mit dem Abriss angefangen. Die alte Räuchereianlage soll zwar erhalten werden und im Landesmuseum zwischengelagert werden, aber wer für den Ausbau bezahlt, ist noch nicht klar. Trotzdem wollen Katharina Mahrt und der Altstadtverein weiterkämpfen, damit es wenigstens irgendwann ein Museum gibt und es in Zukunft in der Stadt nicht mehr so oft heißt: „Dat alte Schiet muss weg!“

Aber von den ehemals 47 Räucherschornsteinen, die von einer Zeit erzählen, in der die Menschen in Eckernförde davon lebten, dass sie Fische fingen und Fische räucherten, bleibt dann trotzdem nichts mehr übrig. Und so wird Eckernförde vielleicht irgendwann vergessen haben, was es einmal war.