„Die Bush-Regierung ist immun gegen die Wirklichkeit“, sagt James Zogby

Geroge W. Bushs Nahostpolitik war bislang verheerend. Condoleezza Rice garantiert, dass dies so bleiben wird

taz: Herr Zogby, viele meinen, dass es nach dem Tod von Arafat neue Chance für den Frieden in Nahost gibt? Stimmt das?

James Zogby: Für diese Einschätzung ist es zu früh. Ich habe in Arafat nie ein Hindernis gesehen – und sehe seinen Tod daher auch nicht als Chance. Die Frage war doch, ob Scharon die Palästinenser freier atmen lässt, um ihrer Führung Schritte Richtung Frieden zu ermöglichen. Genau das wollte Scharon nicht. Er hat Arafat dämonisiert, um nicht mit ihm verhandeln zu müssen. Ich glaube nicht, dass ein neuer Palästinenserchef weniger fordern kann als Arafat. Bush und Scharon täuschen sich, wenn sie glauben, dass es nun einfacher für sie wird.

Bush steht bislang blind an der Seite Scharons. Seine Wiederwahl kann man als Bestätigung dieser Haltung lesen. Also wird die Bush-Regierung bei ihrer Pro-Scharon-Position bleiben – oder?

Die Wahl war keine Bestätigung für Bushs Nahostpolitik. Er hat bei US-Juden nur wenig dazugewonnen, jedoch massiv bei US-Bürgern arabischer Herkunft verloren. Insofern hat er kein Mandat erhalten, um diese Politik fortsetzen.

Sie glauben also doch, dass ein Sinneswandel bei Bush möglich ist?

Schwer zu sagen. Falls er sich ein Beispiel an seinem Vater nehmen würde, könnte er als Mann in die Geschichte eingehen, der den Stillstand in der Nahostkrise überwand. Bush Senior und sein Außenminister James Baker setzten beide Konfliktparteien gleich stark unter Druck und zwangen Israelis und Palästinensern an den Verhandlungstisch. Bush Juniors Schulterschluss mit Scharon hat die Lage erheblich verschlechtert. Der Frieden ist weiter entfernt als je zuvor – beide Lager sind Opfer von Amerikas sträflicher Vernachlässigung. Bush hatte immer die Möglichkeit einzuwirken. Aber er hat Arafat ignoriert. Er hat nicht verstanden, dass Arafat über eine einzigartige Eigenschaft verfügte – eine historische Legitimation.

Es war also ein Fehler von Bush, nicht mit Arafat zu verhandeln?

Absolut. Wir wären heute viel weiter, wenn wir Arafat nicht isoliert hätten.

Was ist von der neuen Außenministerin Condoleezza Rice zu erwarten? Colin Powell ist ja nicht besonders gern gereist. Wird Rice mehr in Nahost sein?

Powells Abneigung gegen das Reisen war nicht so gravierend. Das Problem war eher, dass er vom Weißen Haus an der kurzen Leine gehalten wurde. Wenn er dann mal auf diplomatischer Mission war, wurde seine Bemühungen nicht selten von Bush konterkariert. Offenkundig war dies im Frühling 2002, als Powell im Nahen Osten unterwegs war, um mit Israelis und Palästinensern zu verhandeln. Bush funkte dazwischen, nannte Scharon einen Mann des Friedens, forderte Arafats Ablösung, zerstörte damit Powells Bemühungen und Glaubwürdigkeit. Das würde Rice sicher nicht passieren. Aber sie hat keine eigenen Ideen zum Thema Nahost, sie befolgt, was Bush ihr als Marschrichtung vorgibt.

Wie steht es um die Reputation von Rice im Nahen Osten?

Sie hat keine. Sie wird als verlängerter Arm des Präsidenten wahrgenommen. In der Region hat sie kaum Erfahrung, sie gilt nicht als Ideengeber, kaum jemand erhofft sich von ihr neue Impule. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit ihr, kurz nachdem Bush entschieden hatte, dass Arafat irrelevant sei. Ich sagte ihr, die Regierung unterschätze die Rolle Arafats. Sie entgegnete, „Der Präsident hat entschieden, dabei bleibt es.“ Es gab überhaupt keine Chance auf eine Diskussion.

Sind die USA nicht zu sehr mit dem Irak beschäftigt, um sich wirksam um eine Friedenslösung zwischen Israel und Palästina bemühen zu können?

Durch die Invasion im Irak haben wir das Pferd von hinten aufgezäumt. Dadurch mangelt es uns an Glaubwürdigkeit und moralischer Autorität, um Architekten für eine Demokratisierung in einer Region zu werden, in der sich die Popularität Amerikas auf einem historischen Tiefstand befindet. Was mich am meisten irritiert ist, dass die Regierung dies nicht begreift. Sie scheint völlig immun gegenüber der Realität. Die Karre ist so tief im Dreck, weiter geht es einfach nicht.

Was tun?

Erstens, so lange sich Bush weigert, das Nahostproblem als fairer Vermittler anzugehen und ernsthaft das Leiden der Palästinenser zu beenden, wird es keinen spürbaren Fortschritt geben. Zweitens, im Irak wird sich jeder vermeintliche Sieg in eine Niederlage verwandeln. Kürzlich titelte die Washington Times doch tatsächlich „Die Aufständischen sind geschlagen“. Unglaublich! Selbst wenn wir Falludscha vorübergehend gewinnen, verlieren wir jede Sympathie in der arabischen Welt. Ich rede regelmäßig mit Vertretern der politischen Führungsschicht. Nach der Wahl sprach ich mit einem einflussreichen Saudi. Der sagte mir, sein Land könne damit leben von den USA gehasst zu werden, jedoch nicht, wenn die USA im Nahen Osten gehasst würden.

Heißt Bush also vier Jahre Stillstand?

Ich weiß es nicht. Ich bin pessimistisch. Vor allem, da es keine Anzeichen von der Bush-Regierung gibt, dass sie ihr Dilemma erkennen. Sie wollen aus dem Loch kriechen, indem sie es tiefer graben. Es gibt im Irak keine amerikanische Lösung.

INTERVIEW: MICHAEL STRECK