Das Haar ist ausgefallen

Fest der Familie aus Misanthropensicht: In Terry Zwigoffs böser Komödie „Bad Santa“ spielt Billy Bob Thornton einen schlecht gelaunten Weihnachtsmann von denkbar politisch inkorrektem Charakter

VON HARALD PETERS

Willie T. Stokes hat es nicht leicht, und auch die Welt hat es nicht leicht mit ihm. Zwar verhält er sich die meiste Zeit so unauffällig, wie es einem trunksüchtigen und arbeitsscheuen Misanthropen nur möglich ist. Doch immer dann, wenn den Menschen besonders heiter und froh zumute ist, rückt Willie T. Stokes in den Mittelpunkt des Interesses, was ihm natürlich gar nicht behagt. Denn Willie ist Weihnachtsmann. Gemeinsam mit seinem fiesen, schwarzen, zwergwüchsigen Partner Marcus, der die Rolle des Elfen spielt, heuert er Jahr für Jahr in schlecht bewachten Kaufhäusern der amerikanischen Provinz an, um erst die Kinderchen festlich zu stimmen und hinterher das Kaufhaus auszurauben.

Dummerweise kann Willie aber keine Kinder leiden. Um ihre Wünsche, ihre Zudringlichkeiten überhaupt ertragen zu können, muss er sich jeden Tag halb bewusstlos trinken, weshalb es mitunter auch vorkommen kann, dass er sich bei der Arbeit vollpinkelt. Doch weil selbst unangemessen feuchte Beinkleider weihnachtsfrohe Kinder nicht auf Distanz halten, achtet er peinlich darauf, sich keine Freundlichkeiten zu erlauben. Ein Junge sagt: „Dein Bart ist nicht echt.“ – Willie: „Weil mir die Haare ausgefallen sind.“ – „Warum?“ – „Weil ich mit einer Frau geschlafen habe, die nicht sauber war.“ – „Mit Frau Weihnachtsmann?“ – „Nein, mit ihrer Schwester.“ Doch der Junge, ein besonders fettleibiges und rotznäsiges Exemplar, ist von Willies schroffer Art offenbar derart begeistert, dass er ihm hinterher nicht mehr von der Seite weicht. In jeder anderen Komödie würde das dicke Kind – das trotz seiner Präsenz über weite Strecken des Films namenlos bleibt – so lange insistieren, bis dem elenden Misanthropen das Herz aufgeht. Doch nicht in dem neuen Werk von Terry Zwigoff. Der Regisseur, dem zuvor die brillante Dokumentation „Crumb“ und anschließend die Comicverfilmung „Ghost World“ gelangen, hatte keinerlei Freundlichkeiten im Sinn. Willie bleibt zurückweisend kalt und der Junge eine Nervensäge, die der Weihnachtsmann einen „zurückgebliebenen Mongo“ ruft.

Zu den weiteren Figuren zählen Willies Freundin Sue, eine jüdische Kneipenhilfe mit Santa-Claus-Fetisch, die geldgierige asiatische Gattin des schwarzen Zwerges, die halbtote Großmutter des dicken Jungen, ein korrupter schwarzer Kaufhausdetektiv sowie ein puritanisch verklemmter Kaufhausdirektor, dem es gar nicht gefällt, dass Willie während der Arbeitszeit beiläufigen Analsex mit übergewichtigen Kundinnen hat und dabei Sachen ruft wie: „Oh yeah, Baby, du wirst für eine Woche nicht scheißen können!“

In Filmen, in denen Ben Stiller oder Adam Sandler gemeinhin die Hauptrolle spielen, würde derlei Personal nur auftreten, um dem Ganzen eine besonders hysterische und tabubrecherische Note zu verpassen. In „Bad Santa“ ist die Grundstimmung hingegen von trostloser Ruhe. Während aus dem Hintergrund die gesamte Zeit über weihnachtlich gestimmte Kaufhausmusik dudelt, setzt Zwigoff auf lange Einstellungen und Dialoge, in denen Menschen gekonnt aneinander vorbeireden. Jede denkbare politische Inkorrektheit wird genüsslich ausgespielt und hinterher im Hinblick auf ihre politische Inkorrektheit kommentiert. „Was“, sagt Willie zum Kaufhausdirektor, „sie wollen mich und meinen kleinen schwarzen Partner feuern? Einen afroamerikanischen Zwerg? Dann wird Ihr Gesicht überall in der Presse zu sehen sein. Und Hundertschaften von diesen kleinen schwarzen Scheißern werden mit Schildern Ihr Kaufhaus belagern. Wegen Diskriminierung.“ Laut Internet Movie Database wird in dem insgesamt 92-minütigen Film exakt 243-mal geflucht, was aber weder Jack Nicholson noch Bill Murray vor der Rolle geschreckt hätte. Doch beide hatten keine Zeit. So bekam Billy Bob Thornton den Zuschlag und ist als wunderbar windschiefer Willie T. Stokes in einer seiner bislang besten Rollen zu sehen.