Jüdische Erben siegen in Musterprozess

Das Bundesverwaltungsgericht gibt einer Erbengemeinschaft Recht: Ihre Vorfahren hatten Grundstücke in Brandenburg unter Nazi-Zwang verkauft. Das Urteil bildet nun die Grundlage für 700 weitere Verfahren

LEIPZIG taz ■ Das Bundesverwaltungsgericht hat die Rückgabe ehemals jüdischen Eigentums in Ostdeutschland erleichtert. Eine Rückgabe ist künftig nur dann ausgeschlossen, wenn der Verkauf nach 1933 nachweislich nichts mit der NS-Judenverfolgung zu tun hat. Konkret ging es um ein Grundstück in Teltow-Seehof am Südrand von Berlin. Weitere 700 Immobilien sind mittelbar betroffen.

Das Gut Seehof gehörte zum Zeitpunkt der NS-Machtergreifung der jüdischen Familie Sabersky. Es wurde nach 1933 in Parzellen aufgeteilt und durch einen NS-engagierten Mittelsmann an Bauwillige verkauft. Die Saberskys konnten 1938 in die USA auswandern, die Nachfahren leben dort noch heute.

Nach 1990 forderten die Sabersky-Erben eine Rückgabe der Grundstücke. Als Vergleich boten die Erben die Grundstücke den jetzigen Eigentümern zu einem günstigen Preis an, doch nur rund zweihundert nahmen das Angebot an. Die übrigen mehr als 700 Eigentümer argumentierten, dass hier kein Anspruch auf Rückgabe bestehe, weil die Familie Sabersky das Gut ohnehin verkaufen wollte.

So sah es im Vorjahr auch das Verwaltungsgericht Potsdam: Der Kaufpreis sei angemessen, die Familie Sabersky habe über ihn verfügen können und das Geschäft wäre vermutlich auch ohne die historischen Umstände erfolgt. Eine Rückgabe lehnten die Richter daher ab.

Das sieht das Bundesverwaltungsgericht anders. „Laut Gesetz muss der volle Beweis erbracht werden, dass das Rechtsgeschäft auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus abgeschlossen worden wäre“, erklärte der Vorsitzende Richter Oswin Müller bei der Verkündung. „Bloße Indizien und Schlussfolgerungen genügen hier nicht.“ Das Potsdamer Gericht sei von einer grundsätzlich falschen Rechtslage ausgegangen.

Tatsächlich sieht das NS-Wiedergutmachungs-Recht eine Vermutung vor, dass jüdische Verkäufe während der NS-Zeit durch die NS-Verfolgung ausgelöst wurden. In Westdeutschland wurde dies schon immer so praktiziert. In Ostdeutschland erst nach 1990, weil sich die DDR für die NS-Aufarbeitung nicht zuständig fühlte. Die Vermutung ist zwar widerlegbar, im Interesse der NS-Opfer sah der Gesetzgeber aber hohe Hürden vor.

„Die Parzellierung war schon vor 1933 vorbereitet worden“, argumentierte gestern Josefine Evers vom Landkreis Potsdam- Mittelmark, der die Rückgabe der Grundstücke ablehnt. „Außerdem hat die Familie nach dem Krieg gar keine Rückgabe der Grundstücke gefordert“, so Evers. Das zeige doch, das Geschäft sei in Ordnung gewesen.

Auf der Gegenseite betonten die Anwälte Wolfgang Ewer und Anne Glinka, dass die Parzellierung des Gutshofs nach 1933 vor allem deshalb vorgenommen wurde, weil die Familie aufgrund der zunehmenden Diskriminierung und Ausgrenzung in Deutschland keine Perspektive mehr sah und ihre Auswanderung vorbereitete. Das Gericht ließ diese „Mitursächlichkeit“ der NS-Verfolgung ausreichen.

Das Verwaltungsgericht Potsdam muss nun über die anderen 700 Seehof-Grundstücke entscheiden. Nach den gestrigen Vorgaben kann es aber in der Regel nur die Rückgabe anordnen. Die jetzigen Eigentümer bekommen dann den Kaufpreis zurück. Behalten kann das Grundstück nur, wer es nach 1945 „redlich“ gekauft hat. Dann bekommen die Erben eine Entschädigung. Dies könnte Schätzungen zufolge in etwa 150 von 700 Fällen nötig sein. Vermutlich gibt es im Speckgürtel von Berlin zahlreiche vergleichbare Fälle.

Als einziger Sabersky-Erbe war gestern Mac Gibson, ein Telekom-Spezialist aus Washington, anwesend. „Ich freue mich, dass die Gerechtigkeit doch noch gesiegt hat“, sagte er nach dem Urteilsspruch. Die Familie werde jetzt beratschlagen, wie es weitergeht. Möglicherweise wird mit den jetzigen Eigentümern noch einmal verhandelt. (Az.: 8 C 10.03) CHRISTIAN RATH