Erst hingucken, dann fördern

In Charlottenburg können Kinder individuell gefördert werden, weil sie beobachtet werden – von Erziehern und Eltern. Das „1. Early Excellence Centre“ gibt es hier seit drei Jahren, jetzt soll das Konzept deutschlandweit bekannt werden

Im Kinder- und Familienzentrum Schillerstraße in Charlottenburg werden Kinder beobachtet, um sie optimal fördern zu können. Ihre Erzieherinnen notieren, wie sie sich beim Spiel verhalten, machen Fotos und Videos. Die Eltern sollen so anschaulich erfahren, wo Schwächen und Stärken ihrer Kinder liegen. Die Kita ist das „1. Early Excellence Centre“ Deutschlands, seit drei Jahren wird das englische Konzept als Modellprojekt hier angewandt. Gestern stellten es Mitarbeiterinnen des Kinder- und Familienzentrums auf einer Fachtagung Erzieherinnen vor.

Barabara Kühnel, Fachberaterin im Pestalozzi-Fröbel-Haus, dem die Kita in der Schillerstraße angehört, ist überzeugt: „Kinder, Eltern, Erzieher – alle profitieren von Early Excellence.“ Erzieher werden zu selbsbewussten „Family Workers“, die die Kinder beobachten. Die Ergebnisse können sie den Eltern mitteilen und gemeinsam mit ihnen, aber auch im Kollegenkreis, besprechen, wie die Kinder gefördert werden können. Auch die Eltern beobachten zu Hause ihren Nachwuchs.

Partnereinrichtung der Kita ist das Pen Green Centre im englischen Corby. Die Zentren in England wurden 1997 unter der Blair-Regierung eingerichtet. In Berlin wurde die Finanzierung durch die „Heinz und Heide Dürr-Stiftung“ möglich, die gerade im Oktober einen Verein gegründet hat, der das „Early Excellence“-Konzept deutschlandweit verbreiten soll.

Der Begriff „Early Excellence“, „frühe Spitzenleistungen“, soll dabei keineswegs für Selektion der besten Kinder stehen, sondern für eine frühe, individuelle Förderung. „Das Projekt in Berlin begann vor der Pisa-Debatte, die Vorstellung von Eltern als Experten ihrer Kinder, war da noch wenig bekannt“, sagt Jutta Burdorf-Schulze, Projektleiterin des Kinder- und Familienzentrums Schillerstraße. „Inzwischen ist es anerkannt: Eltern kennen ihre Kinder am besten. Sie leisten die Erziehungsarbeit.“

Die Wirkung des „Early Excellence“-Konzepts ist in Studien nachgewiesen worden. In einer dieser Untersuchungen fand man auch heraus, dass für die Entwicklung eines Kindes entscheidender ist, wie die Eltern mit ihm umgehen, als die soziale Schicht oder kulturelle Gruppe, der sie angehören. Und dass eine Mischung der Schichten in den Kitas sozial Benachteiligten in ihrer Entwicklung zu Gute kommt. Auch die Öffnung der Kindertagesstätte nach außen, in die Familien und in die Nachbarschaft, gehört mit zum Konzept von „Early Excellence“.

In England werden sogar berufliche Weiterbildungsprogramme angeboten. Hier werden Sonntags-Familienfrühstücke oder Trödelmärkte veranstaltet, es gibt Kurse für Eltern in Entspannungstechniken. „Wir bieten auch an, die Kinder am Samstag zu betreuen, damit die Eltern gemeinsam Zeit verbringen können“, so Jutta Burdorf-Schulz. „Dies ‚shopping time for parents‘ zu nennen, kam aber nicht gut an.“ Ein Beispiel dafür, dass in Berlin ein eigener Weg gefunden werden musste, wie das Konzept umgesetzt werden kann. Inzwischen heißt das Angebot: „Freie Zeit für Eltern“.

JULIANE GRINGER