Klinsmann bei Bayern – die Chronik der Krise

MÜNCHEN taz ■ 0:4 in Barcelona, 1:5 in Wolfsburg – so viel Demütigung war lange nicht mehr beim FC Bayern. Dabei hatte man Jürgen Klinsmann deshalb als neuen Trainer verpflichtet, weil er, der Erneuerer, der Held des Sommermärchens, einen Aufbruch in bessere Zeiten zu versprechen schien. Sein Mantra: Jeden Spieler jeden Tag besser machen. Davon redet schon lange niemand mehr. Vor dem Bundesligaspiel gegen Eintracht Frankfurt an diesem Samstag musste er sein Saisonziel neu definieren: Es zählt nur noch die Meisterschaft; Champions League und DFB-Pokal sind abgehakt. Die Krise des FC Bayern ist der vorläufige Höhepunkt einer Kette von Pannen und Missverständnissen der Ära Klinsmann.

Das Buddha-Missverständnis: Noch bevor der schwäbische Kalifornier beim FC Bayern die Arbeit aufnahm, rückten die Bagger an. Das Trainingsgelände wurde umgebaut, das Fanrestaurant musste einer Lounge für die Profis weichen, die sich künftig von morgens bis abends auf dem Gelände aufhalten sollten: trainieren, entspannen, sich fortbilden. Doch in der Öffentlichkeit wurden die Neuerungen auf die dekorativen Buddhafiguren reduziert. Lokalpolitiker protestierten. Klinsmann gab nach, die Buddhas verschwanden.

Das Kapitäns-Desaster: Jahrelang stellte sich diese Frage nicht – es gab ja Oliver Kahn. Vor der Saison meldeten sich zwei Aspiranten: Lucio und Philipp Lahm. Doch Klinsmann sagte: „Das entscheide ich kurz vor Bundesligastart.“ Eine sechswöchige Debatte war die Folge. Die Wahl fiel auf Mark van Bommel, den Klinsmanns Vorgänger Ottmar Hitzfeld einst als aggressive leader bezeichnete, womit er die fußballerischen Möglichkeiten des Holländers gut traf. Ungeschickt auch, dass der Kapitän offenbar nicht in Klinsmanns System passte und zunächst auf der Bank saß.

Die Oktoberfest-Klatsche: Tausende Fans fühlten sich am 20. September von der Blaskapelle auf den Arm genommen, als diese im Bierzelt das Ergebnis des Bayern-Spiels gegen Bremen verkündete: 2:5. War aber kein Spaß. Es folgten ein 0:1 in Hannover und ein 3:3 zu Hause gegen den VfL Bochum. Erste Zweifel keimten auf. Offensichtlich auch bei Klinsmann, der fortan nicht mehr schön und offensiv spielen lassen wollte, sondern auf das taktische System von Hitzfeld zurückgriff.

Die Rückrunden-Misere: Das erste Spiel nach der Winterpause geriet zu einer Demonstration: 5:1 im DFB-Pokal in Stuttgart. Der FC Bayern schien an die guten Leistungen vom Jahresende anknüpfen zu können. Es kam anders: 2:4 im Pokal gegen Leverkusen, Niederlagen in Hamburg und Berlin – und sogar zu Hause gegen Köln! Das souveräne Auftreten in der Champions League (5:0 bei Sporting Lissabon) verhinderte den nächsten Eklat nicht.

Die Taktik-Debatte: Eher beiläufig hatte Kapitän van Bommel erwähnt, man habe sich mal zusammengesetzt und über die taktische Ausrichtung gesprochen. Ob Trainer Klinsmann bei diesem Treffen dabei war? Darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Unstrittig ist, dass mehrere Spieler Kritik äußerten. Lahm mahnte öffentlich eine defensivere Spielweise an. Sogar der eher schweigsame Stürmer Miroslav Klose äußerte sich mit dem gleichen Tenor. Und Klinsmann? Wiegelte ab.

Der Personal-Ärger: Manifest wurde Klinsmanns Machtlosigkeit beim Wechsel von Landon Donovan. Zur allgemeinen Überraschung wurde der US-Amerikaner in der Winterpause ausgeliehen und stieg in Klinsmanns Hierarchie zum Stürmer Nummer drei auf, nach Klose und Luca Toni, aber vor Lukas Podolski. Dessen Wechsel nach Köln war erst nach ewigen Querelen bekannt gegeben worden. Das Verhältnis zu seinem ehemaligen Bundestrainer kann nicht anders als zerrüttet bezeichnet werden. In Anbetracht der dünnen Ausstattung mit Stürmern pochte Klinsmann auf eine dauerhafte Verpflichtung Donovans, was aber von Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge rundweg abgelehnt wurde. Donovan reiste Anfang März wieder ab, Luca Toni und Miroslav Klose verletzten sich, und Klinsmann war wieder auf Podolski angewiesen.

Das Ende: Klinsmanns Vertrag läuft bis zum Jahr 2010. Doch selbst wenn es noch zur Meisterschaft reichen sollte – nach all den Demütigungen, die er auch von der Bayern-Führung in den letzten zehn Monaten erdulden musste, ist es schwer vorstellbar, dass Jürgen Klinsmann noch lange auf der Bayern-Bank sitzt. Das Ende, es könnte schon am Samstagnachmittag kommen. THOMAS BECKER