Der Anfang vom Ende

Mit dem Abschalten des Kraftwerks Stade beginnt heute der Atomausstieg. Betreiber E.on will das AKW sofort abreißen. Das kommt der Stadt entgegen

aus Hamburg GERNOT KNÖDLER

In Stade wird heute das erste Kraftwerk im Rahmen des Atomkonsenses zwischen Bundesregierung und Atomindustrie abgeschaltet. Der Reaktor wird ein letztes Mal heruntergefahren, um nie wieder ans Netz zu gehen. Viele in der Region befürworten den von Betreiber E.on beantragten sofortigen Abriss, weil er zunächst einen Teil der AKW-Arbeitsplätze erhält. Umweltschützer plädieren dagegen dafür, das Kraftwerk zunächst auf 30 Jahre zu versiegeln, damit die schlimmste Radioaktivität abklingen kann.

Stade, das 1972 zum ersten Mal Strom lieferte, ist das zweitälteste in Betrieb befindliche Atomkraftwerk Deutschlands, nur Obrigheim, seit 1968 am Netz, ist betagter. Das Kraftwerk gehört zu zwei Dritteln E.on und zu einem Drittel dem schwedischen Vattenfall-Konzern. Nach den Verträgen des Atomkonsenses hätte das AKW 2004 seine Reststrommenge ausgeschöpft.

Mit der vorzeitigen Stilllegung baut Betreiber E.on nach eigenen Angaben Überkapazitäten ab. Mit seinen 630 Megawatt liefere Stade halb so viel Energie wie die meisten anderen deutschen Atomkraftwerke, allerdings nicht bei einem gleichermaßen geringeren Aufwand. Erschwerend komme die niedersächsische Abgabe auf das Kühlwasser aus der Elbe hinzu, die mit jährlich 8 Millionen Euro zu Buche schlage.

E.on schaltet trotzdem mit einem weinenden Auge ab, denn der Konzern bewertet das Kraftwerk als zuverlässig. „Stade war der Reaktor, der am erfolgreichsten gelaufen ist“, sagt E.on-Sprecherin Petra Uhlmann. Die „meldepflichtigen Ereignisse“ hätten nie den Bereich der internationalen Gefahrstufenskala erreicht.

Bei Kritikern dagegen gilt Stade als „Schrottreaktor“. In den vergangenen zwei Jahren wurde er zweimal abgeschaltet, um Schäden zu beheben. Greenpeace registrierte zumindest zwei Beinahestörfälle. Ins Gerede kam der Reaktor Anfang der 90er-Jahre durch ein Gutachten der Hannoveraner Gruppe Ökologie: Die Schweißnähte des Reaktordruckgefäßes seien durch den dauernden Neutronenbeschuss so spröde geworden, dass sei bei einer Notkühlung möglicherweise reißen würden. Eine Stilllegung war mit diesem Befund nicht durchzusetzen.

Bei der jetzt beantragten Stilllegung mit direkt anschließendem Abbau werden in einer bis Mitte 2005 andauernden „Nachbetriebsphase“ zunächst die restlichen Brennelemente aus dem Kraftwerk nach La Hague verfrachtet. Das Aus kommt hierfür gerade noch rechtzeitig. Denn nach 2005 werden solche Transporte dem Atomkonsens zufolge nicht mehr möglich sein. Im Gegenteil: Ab Juni 2005 kommt der Müll aus der französischen Wiederaufarbeitungsanlage zurück.

Im gleichen Jahr soll in Stade der Abbau des nuklearen Kraftwerkteils beginnen, des Bereichs, in dem es beim normalen Betrieb zu Verstrahlungen kam.

In Stade mit seinem Druckwasserreaktor, wird die Turbine mit dem Dampf eines sekundären Kühlmittelkreislaufs angetrieben, der keinen direkten Kontakt mit dem Reaktor hat. Der nukleare Bereich ist daher kleiner als etwa bei dem Siedewasserreaktor Würgassen, mit dessen Abbau E.on seit 1995 Erfahrungen sammelt. Knapp ein Prozent des beim Abbau anfallenden Schutts, Schrotts und der weiterverwendbaren Anlagen wird E.on zufolge als radioaktiver Abfall deponiert werden müssen: rund 3.000 von 400.000 Tonnen.

Der nukleare Kraftwerksteil wird von innen nach außen abgebaut. Ausgerüstet mit Dosimetern, zerlegen, dekontaminieren und verpacken Arbeiter Maschinen und Leitungen vor Ort, bevor die schützenden Gebäude dekontaminiert und abgerissen werden. Besonders gefährliche Brocken, wie den radioaktiven Reaktordruckbehälter, werden sie voraussichtlich mit Hilfe von Roboterarmen unter Wasser zerlegen und verpacken. Alles, was die Anlage verlässt, muss mehrere Messstufen durchlaufen und wird dann verschiedenen Verwertungs- und Deponierungsfraktionen zugeteilt.

Beim sofortigen Abriss kann E.on auf Leute zurückgreifen, die mit der Anlage vertraut sind. Er freut die Oberen der Stadt und des Kreises, weil dabei etwa die Hälfte der 350-köpfigen Belegschaft bis 2015 weiterbeschäftigt werden kann. Das gestaltet den Abschied in einer Region mit ohnehin überdurchschnittlichen Wirtschaftszahlen sanft. „Wenn wir klagen, dann vor dem Hintergrund, dass das Kraftwerk Motor der Industrialisierung war“, sagt Thomas Friedrichs, der Wirtschaftsförderer der Stadt.

Trotzdem plädiert Greenpeace für einen „sicheren Einschluss“, die Versiegelung auf 30 Jahre. Radionuklide wie Cäsium 137, Kobalt 60 und Eisen 55 büßen in dieser Zeit viel an Strahlkraft ein. Begänne der Abbau erst danach, wäre die Belastung von Arbeitern und Umwelt geringer.

Umweltschützer fordern, dass auch das Abrissmaterial aus dem nichtnuklearen Teil des Kraftwerks auf Strahlung hin untersucht wird, und sie verlangen, dass die Wege leicht strahlenden Mülls dokumentiert werden. „Wenn mehrere Atomanlagen auf eine Deponie entsorgen, kann es zu einer Konzentration und zu Strahlenbelastungen kommen, die höher liegen als zulässig“, warnt Werner Neumann von der Gruppe Ökologie.

„Materialien, die nicht völlig kontaminationsfrei sind, dürfen auf keinen Fall wiederverwertet werden und müssen so deponiert werden, dass man weiß, wo sie sind“, verlangt Susanne Ochse von Greenpeace. Beim unstrittig radioaktiven Müll ist das jetzt schon klar: Er kommt in ein Zwischenlager neben dem Kraftwerk.