mein islam
: „Im Krieg habe ich mein Vertrauen in die Religion verloren“

Begzada Alatović arbeitet ehrenamtlich im Südost Europa Kultur Zentrum, wo sie Patenschaften für kriegsversehrte Kinder vermittelt. Die 42-Jährige kam 1992 als Kriegsflüchtling von Bosnien nach Berlin. Erst sechs Jahre später erfuhr sie vom Tod ihres Mannes. Die gelernte Landwirtschaftstechnikerin war seit ihrem 18. Lebensjahr Mitglied der Kommunistischen Partei. Mit der taz sprach sie im Südost Europa Kultur Zentrum.

„Meine Eltern waren sehr religiös. Zu Zeiten des Kommunismus haben sie mich den Glauben gelehrt. Mein Großvater war sogar angesehener Hodźa. Ich habe nie verschwiegen, dass ich Muslimin bin, aber ich habe mich mit anderen Dingen als dem Islam identifiziert. Schon in der Grundschule war ich bei den Pionieren. Später dann Delegierte im Stadtrat. Natürlich konnten Muslime zu Zeiten des Kommunismus die Moschee besuchen. Aber von Parteimitgliedern wurde das nicht gern gesehen.

In meiner Heimatstadt lebten Muslime, Orthodoxe und Katholiken direkt nebeneinander. Die Dörfer aber waren nach Glaubensrichtungen getrennt. Ich habe längere Zeit in einem orthodoxen Dorf gearbeitet. Die Unterschiede zwischen uns bestanden allein in der Religion, die aber hat für mich keine Rolle gespielt. Ich dachte immer, dass wir friedlich miteinander leben können, und konnte nicht fassen, das ein so großer Hass zwischen den Gruppen entstand.

Ich selbst habe im Krieg meine Lektion über die Menschen gelernt – das war sehr enttäuschend. Ich habe mein Vertrauen auch in meine Religion verloren. Die wichtigen Feiertage begehe ich heute mit muslimischen Freundinnen, da ich hier keine Familie habe. Und ich bete nach traditioneller Art für meinen gefallenen Mann – jedes Jahr an seinem Todestag.

Meinen 16-jährigen Sohn erziehe ich ohne religiösen Zwang. Den Glauben lernt er, wenn wir unsere Familie in Bosnien besuchen. Er soll später selbst entscheiden, wie er leben will.

Bei uns tragen zumeist die älteren Frauen Kopftuch. Nicht, weil sie traditioneller leben. Sie kehren einfach im Alter in den Schoß der Religion zurück, wie in anderen modernen Ländern auch. Vielleicht werde ich das auch, wenn ich älter bin.“

PROTOKOLL: CHRISTINE KEILHOLZ