Die besten Protestparteien der Welt

SPD und Grüne zeigen sich von der Großdemonstration gegen die Sozialpolitik ihrer Regierung völlig unbeeindruckt

BERLIN taz ■ Franz Müntefering gilt als Meister des kurzen Satzes. Aus dem Mund des SPD-Fraktionschefs kommt kein Wort mehr als unbedingt nötig. Olaf Scholz, Generalsekretär der Partei, hat am Montag bewiesen, dass er die verbale Ökonomie genauso gut beherrscht wie Müntefering. Frage eines Journalisten nach der SPD-Präsidiumssitzung: Ist die Berliner Demonstration gegen die Sozialreformen ein Zeichen für eine neue Protestbewegung, die der SPD gefährlich werden könnte? Antwort Scholz: Nein.

Journalist: Warum denn nicht?

Scholz: Warum denn?

Journalist: Weil die SPD viele Menschen, die sie mal begeistert hat, heute nicht mehr erreicht.

Scholz: Ich glaube, Sie irren.

Dieser kurze, inhaltsarme Dialog zeigt zumindest eines ganz deutlich: Schlaflose Nächte haben die 100.000 Demonstranten der SPD und ihren führenden Funktionären nicht gerade bereitet. Ein bisschen liegt das daran, dass Scholz so tut, als wären gar nicht 100.000 Menschen auf der Straße gewesen. „Ich habe höchst unterschiedliche Zahlen gehört“, sagt er. „Aber selbst gezählt habe ich nicht.“ Sein Hauptproblem ist das jedoch nicht. Der Generalsekretär und seine Partei kalkulieren den öffentlichen Protest gewissermaßen ein. Sie bewerten die Durchschlagskraft der Demonstranten aber nur danach, ob sie genauso ehrlich oder problembewusst argumentieren wie die SPD. Und da lautet das überraschende Fazit von Scholz: „Die Demonstranten zeichnen ein falsches Bild von der sozialen Wirklichkeit in Deutschland.“

Der Generalsekretär hat später schon noch mehr über den gesellschaftlichen Protest gegen die rot-grüne Regierung gesagt. Auch im SPD-Präsidium hat das Thema eine Rolle gespielt, wenn auch nur am Rande. Franz Müntefering wies darauf hin, dass auf der Demonstration nichts von realistischen Alternativkonzepten zu sehen oder zu hören war. Er zog daraus die Schlussfolgerung, dass die Regierung mehr Ehrlichkeit in der ganzen Debatte einfordern und die Bürger über die Ziele der rot-grünen Sozialpolitik besser informieren sollte. Deutschland sei schließlich immer noch eines der reichsten Länder der Welt.

Scholz verwandelte selbst den schlechten Zustand der SPD noch in eine Botschaft. „Was wir machen, ist schwierig, deswegen ist unsere Lage schwierig“, sagte er. Die „Strategie, Probleme wegzudemonstrieren“, hält er nicht für sehr nachhaltig. Und einen Vergleich mit der Ignoranz der SPD in den 70er-Jahren, die zur Gründung der grünen Partei geführt hat, findet Scholz überhaupt nicht angemessen. „Ich sehe eine solche Protestbewegung heute nicht, obwohl einige sie sich unverantwortlicherweise wünschen.“

Die Grünen haben von der Engstirnigkeit der SPD damals profitiert – heute sitzen sie in dieser Beziehung mit den Sozialdemokraten in einem Boot. Da kann Parteichefin Angelika Beer am Montag noch so sehr betonen, dass die Grünen gegenüber Bewegungen wie Attac dialogbereit seien. Als Voraussetzung für einen solchen Dialog verlangen Beer und die Parteispitze politisch differenzierte Konzepte – und keine Verunglimpfungen wie den Demoaufruf von Attac, in dem die Hartz-Gesetze als „Übergang zur Zwangsarbeit“ beschrieben werden. „Das geht zu weit“, sagt Beer. Man müsse schon noch zwischen der Reform des Sozialstaates und dem Abbau des Sozialstaates unterscheiden.

Ansonsten gilt, so die grüne Parteichefin: „Wir haben den Aufruf zur Demonstration kritisiert, aber nicht die Demonstranten.“ Sowieso gilt: „Wir Grüne nehmen die Sorgen und Ängste der Menschen ernst.“ Und überhaupt gilt: „Die Grünen waren und sind Protestpartei.“ Amen.

JENS KÖNIG