„Zur Abwechslung mal duschen“

Seit über vier Wochen sitzt ein Bremer Abiturient im Disziplinar-Arrest in der von-Ziethen-Kaserne im Brandenburgischen, weil er sowohl den Kriegs- als auch den Wehrersatzdienst verweigert. Für die taz beschreibt er seinen Alltag in der Zelle

aus BeelitzJANNES VON BESTENBOSTEL

Die Eintönigkeit meines Alltags in der Arrestzelle kündigt sich schon im Zellengang an: dicke graue Stahltüren, dreifach gesichert. Dahinter die Zellen: Meine hat viereinhalb mal drei Meter und ist damit doppelt so groß wie eine andere Zelle, in der ich auch schon einige Tage verbracht habe. Die Größe ist allerdings irrelevant: Je größer, desto leerer wirkt sie – je kleiner, desto beengender. An der Decke befindet sich eine Neonlampe, die ich aber nicht selbst ein- und ausschalten kann. Die Einrichtung: ein grauer Tisch, ein Stuhl und ein Klappbett. In einem Metallkasten sind Waschbecken und die Toilette integriert. Eine Belüftungsmöglichkeit hat die Zelle leider nicht und das „Fenster“ ist nur aus Milchglas.

Der Tag

Morgens gegen halb fünf werde ich geweckt. Zum Frühstück werde ich in den Essensraum begleitet – manchmal von bis zu fünf Unteroffizieren. Anschließend versuche ich weiter zu schlafen. Das ist aber nur begrenzt möglich, da die Wachmannschaft wechselt, sich vorstellt und tausend Dinge mit mir ausprobieren muss. So ab neun, zehn Uhr beginnt meine Hauptaufgabe: mich zu beschäftigen. Meistens lese ich oder schreibe Briefe. Nach dem Mittagessen um zwölf – das manchmal nur aus Reis besteht, da ich kein Fleisch oder Fleischsoßen esse – male ich ein Mandala, schreibe Briefe oder lese bis 15 Uhr. Dann habe ich eine Stunde Ausgang. Dabei läuft ein Soldat neben mir her und bewacht mich. Bis zum Abendessen um 18 Uhr setze ich das Lesen, Schreiben und Malen fort, ebenso danach. Um 21 Uhr wird das Licht ausgemacht und ich bemühe mich einzuschlafen. Abwechslung vom Tagesablauf bringt eigentlich nur das Duschen und das Lesen von Briefen, die ich aber nur alle paar Tage ausgehändigt bekomme. Das Highlight des Tages ist das Telefonieren während des Ausgangs, was mir je nach Wache ermöglicht oder verboten wird. Das Highlight der Woche ist mein einstündiger Besuch am Wochenende. Doch sind diese besonderen Augenblicke gekommen, ist es nicht mehr möglich, sie zu genießen. Denn der Gedanke, „gleich ist alles wieder vorbei“, lässt sich kaum verdrängen. Was mir zu schaffen macht, ist die Lustlosigkeit. Oft sitze ich einfach nur da, träume vor mich hin oder nicke kurz ein. Diese passive Haltung zu durchbrechen ist schwer. Es geht, aber es erfordert mehr Selbstdisziplin als ich mir vorgestellt hätte.

Die Soldaten

Bei manchen Soldaten ist es möglich, ein halbes Stündchen außerhalb der Zelle eine Unterhaltung zu führen. Doch es gibt auch andere Tage. Mein Geburtstagspaket musste ich zum Beispiel unter Aufsicht öffnen und manchmal darf ich kaum persönliche Gegenstände mit in die Zelle nehmen, nicht einmal eine Uhr. Doch egal, ob die Haftbedingungen erleichtert oder verschärft sind – sie ändern nichts an der Tatsache, dass ich eingesperrt bin, den Soldaten mehr oder weniger ausgeliefert, und dass ich Tageslicht und frische Luft nur beim Essen oder beim Ausgang erlebe. Der Ton der Soldaten ist derzeit tendenziell freundlicher, wodurch ich entspannter bin. An Tagen, an denen ich angebrüllt wurde, machte sich die Anspannung schnell in Form von Kopfschmerzen bemerkbar.

Das System

Meine Vorurteile gegenüber der Bundeswehr haben sich bestätigt. Das einzige, was dem Leben der Soldaten einen vermeintlichen Sinn gibt, ist das Befehlen und Gehorchen. Darauf war ich zwar sehr gut vorbereitet, aber erschreckenderweise konnte ich auch bei mir in den ersten Tagen feststellen, wie ich automatisch auf Rangabzeichen achtete: Je „mächtiger“ ein Soldat erscheint, desto weniger bezweifelte ich die Richtigkeit seines Tuns. Eine Szene aus der ersten Woche, die mir immer noch nachgeht: Ein Obergefreiter befahl mir, mich an einen bestimmten Punkt zu stellen, an dem ich warten sollte. Zuerst verweigerte ich den Befehl. Sofort rastete der Soldat aus, trat auf mich zu, bekam einen hochroten Kopf und schrie mich an, ich hätte seinem Befehl Folge zu leisten. Und wie reagierte ich, der ich dieses System aus Befehlen und Gehorchen aufs tiefste ablehne und für diese Entscheidung eine Inhaftierung in Kauf nehme? Ich ging einen faulen Kompromiss ein und bewegte mich in die befohlene Richtung. In dem Moment war ich froh, dass es keine Gewalt mehr gab und der Druck weg war. Dies war der größte Fehler, den ich begangen habe.