Die Produktion der eigenen Schaulust

Vom Video-Abend zum 10.000 ZuschauerInnen-Festival: Das Lesbisch Schwule Filmfest Hamburg hat sich konsolidiert und startet heute zum 15. Mal – zeitgleich mit dem Bremer Queerfilm-Tagen. Das Ziel: Die Dominanz des heteronormativen Kinos zu brechen. Nur die Verleihe machen noch nicht mit

Aus Hamburg Doro Wiese

Wenn sich heute die Tore des Hamburger Passage-Kinos öffnen, um den Blick auf nackte Beine und Schottenröcke im Film D.E.B.S. preiszugeben, beginnt mit den Lesbisch Schwulen Filmtagen ein unverzichtbares Ereignis im Hamburger Kalenderjahr. Mehr als 10.000 ZuschauerInnen konnte das Festival letztjährig verzeichnen – eine Erfolgsbilanz.

Aber nicht nur das stete Anwachsen von Publikumszahlen, sondern auch die feste Bindung der BesucherInnen an das Festival spricht für die Filmtage. Wochen vorher werden Kalender blockiert und Verabredungen getätigt – oder ein Termin für die Feier des Jahrestages festgelegt. Denn die Filmtage stiften alljährlich neue Freund- und Feindschaften, unzählige Paare haben sich während der Filmtage in der verwinkelten oder großräumigen, schummrigen oder lichtdurchfluteten Nachtbar gefunden, deren Lokalität alljährlich wechselt und deren Örtlichkeit bis zur Eröffnung strengster Geheimhaltungspflicht unterliegt.

Die vielfältigen sozialen Funktionen, die das Filmfest erfüllt, machen es zu einem wichtigen Ereignis für Transgenders, Homo-, Bi- und Heterosexuelle. Diesjährig werden die Filmtage zudem stolze fünfzehn Jahre alt: ein Anlass für die OrganisatorInnen, sich per Podiumsdiskussion der Frage zu stellen, was aus dem Queer Cinema im 21. Jahrhundert werde. Wer jedoch in die Zukunft schauen will, muss seine Vergangenheit kennen – und eine kurze Rückschau in vergangene Programme zeigt, dass Themenspektrum und Filmauswahl sich in den vergangenen Jahren eher konsolidiert als verändert haben.

Noch 1989 hatte die studentische Arbeitsgruppe, deren Videofilm „Keine Chance für die Liebe“ den Startschuss für die Lesbisch Schwulen Filmtage bildete, „Knabeninternate“, „Expertenrunden“ und „Duschräume“ als stereotype Repräsentationen lesbischschwulen Lebens ausgemacht. Doch bereits vier Jahre später war aus einem einzigen Abend mit Videoscreening ein ausgewachsenes Filmfest geworden, das mit Kurz- und Langfilmen, Klassikern und Erstlingswerken aufwarten konnte und zudem eine Sexpertin wie Susie Bright zur Performance lud. „Wir feiern unser Filmfest mit eigenen Sehgewohnheiten, eigenen Qualitätsansprüchen und eigenen Regeln“ heißt es im Editorial, und diesem Credo ging das Festivalteam selbstbestimmt nach.

Die als „Camp“ bezeichnete Aneignung von Ikonen wie Elisabeth Flickenschildt und Doris Day wurde ebenso zelebriert wie der Griff in die Filmtruhe, der historisches Material zu Tage treten ließ. Denn bereits in der Frühzeit des Kinos finden sich zahlreiche Darstellungsverweise auf queere Lebenswelten: Sei es durch die Repräsentation intimer Frauen- und Männerfreundschaften, die eine ungezeigte „andere“ Beziehung vermuten ließen oder durch die – nicht selten in die Homo- oder Transphobie abgleitende – Darstellung von Cross-Dressing. Homo-, Bi- und Transsexuelle eigneten sich diese Filme an, indem sie ihnen eine vom Mainstream abweichende Lesart gaben. Mit Dorothy Arzner wird in diesem Jahr einer frühen Pionierin des Films geehrt, die durch Regie und Schauspiel in den 20er und 30er Jahren die Grenzen traditioneller Geschlechterrollen unterlief.

Diese der Frühzeit des Kinos entlaufenen Aneignungsformen sind aber längst nicht mehr die einzige Waffe eines queeren Publikums, will es seine eigene Schaulust produzieren. Eine Ausdifferenzierung von Themen und Genres hat in den 90er Jahren mit Nachdruck stattgefunden, so dass Beziehungsdramen, Coming-Out-Filme, Krimis, literarische Verfilmungen, Experimentalfilme weltweit ihren filmischen Niederschlag gefunden haben. Somit kann festgestellt werden, dass nicht die Vielfalt queeren Filmschaffens zu wünschen übrig lässt, sondern vielmehr die Zirkulation filmischen Materials.

Selbst Filme mit Titanic-Qualitäten wie Intimates von Cheung Chi-leung (Hongkong 1997) verschwinden in Archiven, anstelle Beachtung zu finden. Statt den queeren Film zu hinterfragen, ist es Zeit, die Dominanz eines heteronormativen Kinos zu unterbrechen: An seinen Rändern wartet schon eine vielfältige und anspruchsvolle queere Kinowelt darauf, gesehen und entdeckt zu werden.

Programm: www.lsf-hamburg.de. Zeitgleich findet in Bemen das Queerfilmfestival statt. Eine Rezension des an beiden Orten gezeigten „Beautiful Boxer“ steht in der Donnerstags-taz