Um die Ecke gebracht

Abbiegende Autofahrer sind das größte Risiko für Radfahrer. Das weiß auch der Senat. Vorerst aber reagiert die Verwaltung nur bei der Radwegpflicht. Man darf wieder öfter auf der Straße radeln

von OLIVER HAVLAT

Der Verkehr rauscht über die Querstraße, und der blaue Ford wartet bei Rot an der Ampel. Der Blinker ist gesetzt, der Fahrer wird langsam ungeduldig. Als die Ampel Gelb zeigt, ist der Gang eingelegt. Springt die Ampel auf Grün, zieht der Wagen sofort um die Ecke. Einen Blick über die Schulter hat der Mann am Steuer nicht geworfen. Wäre dort ein Radfahrer gewesen – er hätte ihn übersehen.

Das Übersehen von Radfahrern beim Abbiegen ist eine der Hauptursachen bei Unfällen, erläutert Benno Koch, Chef des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC). Koch steht an einer der gefährlichsten Kreuzungen Berlins. An der Klosterstraße, Ecke Brunsbütteler Damm und Ruhlebener Straße in Spandau brettern täglich tausende Autos, Lastwagen und Busse über den Asphalt. Die schwächsten Verkehrsteilnehmer auf Rädern, die Fahrradfahrer, leben hier gefährlich. Erst vor einer Woche wurde hier ein 60-Jähriger von einem abbiegenden Lastwagen erfaßt und überrollt.

„Das Problem beim Radfahren ist immer, sich sichtbar zu machen“, sagt Koch. Und das wird den Velo-Piloten oft schon von den Stadtplanern schwer gemacht. Hier in Spandau stehen junge Bäume, Schilderpfähle und Laternenmasten zwischen Fahrbahnrand und Radweg. Radfahrer, die von hinten auf dem Radweg und damit aus dem berühmten toten Winkel angerollt kämen, würden schlicht nicht wahrgenommen, erklärt Koch. „Man übersieht sie.“

Viele der Berliner Radwege, auch viele, die erst vor einigen Jahren angelegt wurden, sind nach Meinung des ADFC-Landeschefs in beklagenswertem Zustand. Nicht nur, dass sie meist auf dem Bürgersteig entlangführten und viel zu schmal seien – „Oft ist der Lenker schon so breit wie der ganze Radweg“, sagt Koch. Darüber hinaus sind viele Radwege mit Hindernissen der verschiedensten Art zugestellt, mit Mülltonnen, Sperrmüll, Werbeschildern. „Alles, was man in der Stadt nicht mehr braucht, stellt man auf den Radweg“, ärgert sich Koch. Jedenfalls sei das der subjektive Eindruck eines Radfahrers in Berlin.

Abhilfe können nach Meinung Kochs nur anders angelegte Radwege schaffen: Der Radweg müsse auf die Fahrbahn, nicht auf den Bürgersteig. Kombinierte Bus- und Radspuren seien das richtige Mittel. Und damit man die Radler auch beim Abbiegen an den Ampeln nicht mehr so leicht übersieht, plädiert der ADFC seit Jahren für eine vorgezogene Haltelinie an Kreuzungen. „Vier bis fünf Meter vor der Haltelinie für Autos“, fordert Club-Chef Koch, solle diese Linie liegen. Damit habe der abbiegende Autofahrer die Radler vor sich und so automatisch im Blick.

Über den Zustand der Berliner Radwege ist auch der Senat im Bilde. Mittlerweile sind nur noch ein knappes Drittel aller Radwege in der Stadt benutzungspflichtig – angezeigt durch das blaue Schild am Anfang des Radweges. Die Wege mit festgestellten Mängeln hat man vom Zwang zur Benutzung befreit. Mehr sei aber zunächst nicht drin, hat die Verwaltung dem ADFC signalisiert. Der Grund: Neue Wege sind zu teuer.