Kriegsverbrecher für Karsais Kabinett?

Kurz vor Afghanistans Wahl nennt ein Bericht Namen von Kriegsverbrechern. Einige sind im Lager von Präsident Karsai

KABUL taz ■ „Der neue Präsident sollte versprechen, eine Regierung zu bilden, die niemanden einschließt, der an Kriegsverbrechen beteiligt war, und er sollte explizit Personen von der Ernennung in hohe Regierungs- und Militärämter ausschließen, gegen die glaubhafte Beweise“ vorliegen. Dies empfiehlt ein in dieser Nacht veröffentlichter Bericht über Kriegsverbrechen in Afghanistan zwischen 1978 und 2001. Herausgeber ist das Afghanistan Justice Project, ein Zusammenschluss afghanischer und internationaler Forscher und Juristen, die seit Taliban-Zeiten diese Fälle untersuchen und dokumentieren. Aus gutem Grund nennen sie ihre Namen nicht, mit einer Ausnahme: Patricia Gossman, eine unabhängige Beraterin, die früher mit Human Rights Watch kooperierte. Besonders den beteiligten Afghanen droht Schlimmes, sollten ihre Namen herauskommen.

Der Bericht enthält Fälle, die zum Teil nie zuvor detailliert untersucht wurden – aus der Zeit der sowjetischen Besatzung 1979–89, des Regimes der Mudschaheddin (1992–96) und der Taliban (1996–2001). Er ist deshalb so brisant, weil er Namen hochrangiger Politiker enthält, die sich um Sitze in Präsident Hamid Karsais Kabinett bewerben. Zwar hatte er wiederholt eine Neuauflage seiner Koalition mit den Mudschaheddin-Fraktionen abgelehnt, aber hinter den Kulissen wird bereits seit Wochen um Posten geschachert. Sein Wahlsieg gilt als sicher.

In mehrere Fälle ist der bisherige Vizepräsident und Verteidigungsminister Mohammad Kasim Fahim involviert. Als Sicherheitschef der Mudschaheddin-Fraktion Schura-je Nasar war Fahim für das Gefangenenlager Lejdeh im nördlichen Tochar verantwortlich. Hier wurden 1983 bis 1992 „gegnerische Kämpfer, rivalisierende Kommandanten und Kämpfer, gewöhnliche Kriminelle und politische Gefangene“ „systematisch gefoltert“. Aus der Masse solcher Mudschaheddin-Gefängnisse stach es hervor, da es „innerhalb einer protostaatlichen Struktur“ mit auf Folter „spezialisierten Einheiten, klaren Kommandoketten und guter Kommunikation“ aktiv war. Diese Struktur wurde nach 1992 in das Staatswesen der Mudschaheddin übernommen.

Auch war Fahim während des Massakers und der Massenvergewaltigungen von Afschar, einem Kabuler Stadtteil, im Februar 1993 in gleicher Funktion für „Spezialoperationen zur Unterstützung der Offensive und in der Operationsplanung“ verantwortlich. Die Zahl der Getöteten und Vergewaltigten von Afschar ist bis heute unklar, aber, so der Bericht, „praktisch jeder Zeuge beschrieb, dass er Leichen in der Gegend liegen sah“. Am Afschar-Massaker beteiligt war auch Abdul Rabb Rassul Sajjaf, ein wahhabitischer Warlord, derzeit Berater Karsais. Sajjafs Fraktion kontrolliert das Oberste Gericht und Gouverneure um Kabul.

Karsais Vizepräsidentschaftskandidat Karim Chalili, damals Vizechef einer schiitischen Fraktion, wird vorgeworfen, 1992 bis 1995 in Kabul systematisch Gefangene und politische Gegner getötet zu haben. 1992 ließ ein Kommandant Chalilis in Kabul neun Mitglieder einer Delegation hinrichten, die zwischen verschiedenen Fraktionen vermitteln wollten. JAN HELLER

www.afghanistanjusticeproject.org