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: Re:AW:Re – Vom Hin und Her der Mails

Wie passend für einen E-Mail-Roman: Da das beim Verlag bestellte Buch nicht bei mir ankam – auf seiner Reise traf es wohl einen gierigen Liebhaber alter Medien –, schickte man den Text einfach per Mail. Das spart Zeit und Platz und Mühe.

Ein bisschen so könnten die Überlegungen von Daniel Glattauer auch gewesen sein, als er an den enormen Erfolg seines E-Mail-Romans „Gut gegen Nordwind“ mit einer Fortsetzung anknüpfte. „Alle sieben Wellen“ spinnt die Geschichte der Internetliebe von Emmi Rothner und Leo Leike einfach weiter. Das spart Zeit, denn der Autor kann davon ausgehen, dass die meisten Leser – und das waren erstaunlich viele – bereits den „Nordwind“ gelesen haben und er die Protagonisten nicht groß einführen muss; und es spart Mühe, denn er muss sich keinen komplett neuen Plot und schon gar kein neues Genre einfallen lassen und außerdem verbraucht so ein E-Mail-Roman viel Platz, der in anderen Bücher durch ausformulierte Gedanken oder Geschehnisse gefüllt werden muss. In „Alles sieben Wellen“ sind oft ganze Seiten bedeckt mit Dialogen wie:

„AW:

Darf ich Dich was „Persönliches“ fragen, Emmi?

50 Sekunden später

RE:

Na, das kann eine Frage werden!

40 Sekunden später

AW:

Bist Du noch mit Bernhard zusammen?“

In einem Interview hat Daniel Glattauer gesagt, manche Leserinnen habe sich gewundert, wie er als Mann sich so gut in die Gefühlslage einer Frau hereinversetzen könne. Eine erschreckende Vorstellung. Einmal schreibt Leo: „Ich denke an diejenige Emmi, die sich mit Fingerspitzen, die so zart sind, als würden sie davonfließen, alle halben Minuten imaginäre Haarsträhnen aus dem Auge hinters Ohr streicht, als wolle sie auf diese Weise ihren Blick vom Schleier befreien, um die Dinge endlich auch einmal so scharf und klar zu sehen, wie sie sie längst schon beschreiben kann.“ Ach ja, die schüchterne, schöne, scharfe Frau, die nur darauf wartet, dass die wahre Liebe ihr den Schleier von den Augen reißt. Solche Romane sind das Opium des Patriarchats.

Tatsächlich geht es in „Alles sieben Wellen“ um Emmis Illusionen. Festplattenspeicherplatz-füllend haben die beiden in „Gut gegen Nordwind“ monatelang hin und her gesehnsüchtelt, ohne sich ein einziges Mal zu treffen. Der neue Roman beginnt mit dem Wunsch, sich zu endlich zu sehen. Allerdings nicht, um den Visionen, die die Virtualität hervorrief, die glückliche Realität entgegenzuhalten, sondern um der ganzen Geschichte ein Ende zu machen. Um sie „mit Würde“ zu verabschieden, von Angesicht zu Angesicht, wie Emmi fordert.

Und an dieser Stelle ist das Buch tatsächlich ganz interessant. Der Mailaustausch dokumentiert schön den Zeitgeist. Schaute der erste Teil auf das Flirten per Mail, beschäftigt den zweiten jetzt das Schlussmachen durch die virtuelle One-Way-Kommunikation. Hinter der Tastatur eines Computers kann man sich gemütlich verbergen. Man haut seinen Ärger auf den Bildschirm, feilt daran herum und schießt den Giftpfeil in den Äther, während man selbst unsichtbar und damit unangreifbar bleibt. An den Stellen, an denen Glattauers Roman die Untiefen der digitalen Kommunikation aufzeigt, ist er spannend. Leider verlässt er dieses Terrain allzu häufig und rettet sich in die ausufernden Dialoge, deren Stil bei Rosamunde Pilcher und deren Dramaturgie bei Samuel Beckett abgeschaut scheint. Immer wieder wird ein Ende gesetzt, immer wieder ein neuer Anfang gemacht. Jedes für sich wäre nicht so schlimm, zusammen aber wird man dieser Aufführung absurder Wiederholungs-Romantik bald überdrüssig. Dazu kommt noch die Sprache der beiden, die durch Klischees und leicht durchschaubare Effekte geprägt ist. Wer so was mag, wird mit dem Buch sicher glücklich. JUDITH LUIG

Daniel Glattauer: „Alle sieben Wellen“. Deuticke, Wien 2009, 224 Seiten, 17,90 Euro