Initiative macht sich bezahlt

Vor 30 Jahren erschien die erste Ausgabe des legendären „Kölner VolksBlatts“. Viele der damaligen Aktivistinnen und Aktivisten der Bürgerinitiativenzeitung haben inzwischen illustre Karrieren gemacht

von Peter Hanemann

Es war die große Zeit der Alternativbewegung und Selbstorganisation: Fast auf den Tag genau vor 30 Jahren erschien die erste Ausgabe des Kölner VolksBlatts.

Während sich die linke Szene in der Domstadt damals radikal, maostisch oder anarchistisch differenzierte, setzten die VolksBlatt-Gründer auf Bürgerinitiativen. Die Zeitung mit dem programmatischen Untertitel „Bürgerinitiativen informieren“ wurde nicht nur ihr Organ in Köln, sondern auch zum Muster für zahlreiche andere Blätter in vielen Städten der ganzen Republik. Und sie war ein Kreativ-Pool für damals ungeahnte Karrieren.

Die Arbeit im und am VolksBlatt, das zunächst monatlich, dann eine zeitlang sogar 14-tägig erschien, organisierte ein offener Kreis von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Anfangs existierte nur eine halbe bezahlte Stelle. Bis Anfang der 1980er Jahre wurden daraus mit Hilfe von AB-Mitteln acht feste „Bürodiener“, wie sie genannt wurden.

Doch Ende 1981 „war die alte Redaktionsgruppe erschöpft, die Rezeption einer BI-Zeitung nicht mehr selbstverständlich wie acht Jahre zuvor und die Konkurrenz der Stadtmagazine erdrückend“, erzählt Martin Stankowski. Der Historiker und Journalist war jahrelang Impressario und heimlicher Chefredakteur des Projekts.

Ein kleinerer Teil der alten Crew sowie Aktivisten aus der Bürgerinitiativenszene entschieden sich trotzdem, die Zeitung weiterzuführen und edierten sie nach einer halbjährigen Pause ab Herbst 1982 neu. Herausgegeben vom „Kölner Stadtforum“ und angesiedelt im Bürgerzentrum Alte Feuerwache erschien sie immerhin noch bis 1999.

Der Großteil der Redaktion besann sich indes seiner weiteren beruflichen Fähigkeiten. So gründete Reiner Osnowski, der zuvor Demos gegen RWE organisiert hatte, den VolksBlatt-Verlag. Der Buchverlag mit einem Programm ökologischer und politischer Literatur brachte rund 130 Titel auf den Markt und existierte bis 1995. Osnowski betreut heute die Regionalreihe „KiWi Köln“ von Kiepenheuer & Witsch und ist Erfinder und Geschäftsführer der Lit.Cologne.

Auch die Katalyse-Gruppe entstand aus dem VolksBlatt. Rund 20 AutorInnen schrieben zusammen das Buch „Chemie in Lebensmitteln“ und erreichten damit eine Gesamtauflage von 600.000. Mit dem Erlös kauften sie ein Haus in der Engelbertstraße und richteten dort ein Umweltlabor ein. Heute begutachtet Katalyse nicht mehr Kölner Wasser, sondern weltweit Ernährungsprobleme im Nord-Süd-Kontext. VolksBlatt-Redakteurin Elke Bauer hingegen wurde – nach einem Abstecher nach Neuseeland – Bio-Bäuerin und versorgte jahrelang Kölner Kunden mit frischem Gemüse. Inzwischen arbeitet sie als Lehrerin.

Auch die Foto-AG des VolksBlatts kam groß raus. Günter Beer, Guenay Ulutuncok und Jürgen Bindrim gründeten die Fotoagentur laif. Wenig später stießen Axel Krause und Gernot Huber dazu. Von der Kölner Illustrierten kam Manfred Linke. Heute ist laif eine der bundesweit führenden Bildagenturen. Während Krause von Kairo aus für Reportagen fotografiert, spezialisierte sich Beer, der sich früh von laif verabschiedet hatte, in Barcelona auf Food-Fotografie. Die Zeitschrift „Der Feinschmecker“ verlieh ihm kürzlich einen Preis.

Neben den Fotografen verdienen auch andere Oldies journalistisch ihr Geld. So hat es Lothar Gorris, ehedem „Bürodiener“ der VolksBlatt-Redaktion, zunächst zum Szene-Schreiber bei Spex und dann zum Zeit Magazin und zum Stern geschafft. Seit sieben Jahren ist er beim Spiegel, inzwischen als Ressortleiter Gesellschaft. Gorris: „Beim VolksBlatt begriff ich, warum mir mein Vater eine Schreibmaschine geschenkt hatte.“

Thomas Weidenbach ist seinen VolksBlatt-Themen treu geblieben und verfilmt für den WDR und das ZDF Umwelt- und Nord-Süd-Probleme. Auch Stankowki selbst hat Karriere gemacht. In den letzten 20 Jahren beleuchtete er Kölns 2000-jährige Stadtgeschichte neu, schrieb Kinderbücher und Reiseführer, wirkte als Kabarettist und formte nebenbei noch die Kölner Grünen. Als der VolksBlatt-Gründer für sein Lebenswerk 1999 den „Kölsch Kultur-Preis“ erhielt, reihte ihn Wolfgang Feidner als damaliger Geschäftsführer der Gilden-Brauerei in die Riege der „unbequemen Zeitgenossen“ ein, „die der Sprache und dem Leben in unserer Stadt neue Impulse verleihen, das alte Köln neu interpretieren“. Schöner kann man das Kölner VolksBlatt auch nicht würdigen.