Zahlen ohne Kassieren

Bei „Real“ im Ring-Center lässt der Kunde die Kasse selber klingen. Mit Personalabbau habe das nichts zu tun, versichern die Händler. Gewerkschaft fürchtet um bundesweit 100.000 Arbeitsplätze

VON FELIX WADEWITZ

Frau Wübben steht in ihrem Supermarkt und staunt nicht schlecht. Seit Jahren kauft sie hier ein und nun stehen plötzlich diese Terminals im Kassenbereich. Frau Wübben ist ratlos: „Wie funktionieren denn die Dinger?“ Sie hat es eigentlich nicht so mit neumodischem Krams. „Bin schließlich schon 67.“

Die Dinger hören auf den Namen „NCR FastLane“, was die Sache nicht gerade besser macht. Es sind insgesamt vier, sie sind neu in Berlin, und sie sind eine Anschaffung des Metro-Konzerns. Zu finden sind sie im Ring-Center an der Frankfurter Allee bei „Real“, einem Supermarkt, der zur Metro-Gruppe gehört.

Es sind Selbstbedienungskassen. Der Kunde kassiert sich selbst ab. Ganz ohne KassiererIn. Deutschlandweit sollen bis zum kommenden Jahr insgesamt 200 dieser „Selfcheckout“-Möglichkeiten in 50 Metro-Discountern installiert werden. Damit ist die Handelskette das erste Unternehmen in Deutschland, das seine Kunden vor die Wahl stellt: traditionelle Kasse oder Automat. Getestet wurden die „Dinger“ in einem Future Store, den Metro zusammen mit dem US-Firma NCR betreibt. Das Technologie-Unternehmen ist in Europa Marktführer bei den SB-Kassen. NCR entwickelt laut eigener Aussage den Supermarkt der Zukunft. „Der Laden von morgen sieht komplett anders aus als der von heute“, prophezeit das Unternehmen. Der Wettbewerb unter den Discountern schaffe einen Trend zur Automatisierung.

„Wenn die Hemmschwelle erst mal überwunden ist, merken die Leute schnell, wie leicht die Bedienung ist“, sagt Rainer Willmann. Der Real-Filialleiter sieht in der Neuerung keine Konkurrenz für die herkömmlichen Kassen. „Das ist ein zusätzlicher Service für die 4.500 Kunden, die täglich in den Markt kommen.“ Wer einen ganzen Einkaufswagen voll gepackt hat, mache sich zwar kaum die Mühe, alles per Hand einzuscannen – da seien die KassiererInnen schneller. Leute, die weniger als zehn Produkte kaufen, seien die Zielgruppe. Für sie beschleunige sich die Abwicklung an der Kasse. Wenn es an den zwölf normalen Kassen Schlangen gibt, würden viele Kunden das neue Angebot zögernd ausprobieren und es dann immer wieder nutzen.

„Bitte die Linie nicht übertreten“, weist eine Real-Mitarbeiterin den Selfcheckout-Kunden zurecht. Es ist ein bisschen wie am Flughafen. Ein auf den Boden gemalter Streifen trennt die Wartenden von den vier Terminals. Steht der Kunde dann vor der Kasse, begrüßt ihn eine nette Frauenstimme. Die kennt man schon aus den Navigationssystemen für Autos. Der große Bildschirm erinnert an einen Bankautomaten. Der Kunde hat die Wahl zwischen Deutsch und Englisch, dann geht es los: „Bitte scannen Sie Ihr erstes Produkt ein“, sagt die Stimme. Auf dem Monitor erscheint ein Bild, das zeigt, wie es gemacht wird. Der Kunde scannt eine Cola ein. „Kaufen Sie eine Flasche oder einen Kasten?“, fragt die Stimme. Mit einem Tastendruck auf den Touchscreen-Monitor versichert der Kunde, dass es lediglich eine Flasche ist. „1 Euro 10“, tönt es aus dem Gerät. Damit die Kunden nicht die Etiketten der Halb-Liter-Flaschen auf Zwei-Liter-Flaschen kleben, hat der Hersteller NCR eine Waage in die Kasse eingebaut. Stimmt das Gewicht nicht mit dem Barcorde überein, schlägt die Technik Alarm. Bezahlt wird per EC-Karte.

Das Wort „Personalabbau“ nimmt bei Real niemand in den Mund. „Es wird niemand entlassen“, versichert eine Unternehmenssprecherin. Dabei sind die neuen Kassen erheblich teurer als die alten. Wie sollen sich die Investitionen auszahlen? „Der Gewinn für Real entsteht durch höhere Kundenzufriedenheit – wir wollen, dass die Kunden nicht so lange in den Schlangen warten müssen“, erläutert die Sprecherin. Es könnten ohnehin keine KassiererInnen eingespart werden, da auch die SB-Kassen mit Mitarbeitern besetzt werden. Sie sollen die Kunden überwachen und verhindern, dass Kinder Alkohol und Zigaretten kaufen. „Gerade in der Probephase muss den Leuten bei der Bedienung geholfen werden.“ Drei Mitarbeiter werden im Ring-Center derzeit dafür abgestellt. Solange das so bleibt, sehen die 140 Real-Mitarbeiter im Ring-Center ihre vollautomatischen Kollegen noch gelassen. „Kurzfristig brauchen wir sogar mehr Arbeitskräfte als sonst“, sagt ein Betriebsratssprecher. In Zukunft soll aber nur noch ein Mitarbeiter die vier SB-Kassen betreuen.

„100.000 Arbeitsplätze sind deutschlandweit in Gefahr.“ Ulrich Dalibor von der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di sieht nur einen Grund für die hohen Investitionen: Rationalisierung. Innerhalb von fünf Jahren könnte die Technik so weit entwickelt sein, dass sie massiv Arbeitsplätze vernichte.

Die Discounter stünden unter massivem Kostendruck. Die Gewinnspannen seien so gering, dass auf dem Rücken der Angestellten gespart werden soll. Wenn das Metro-Experiment klappt, ziehen die anderen Discounter sofort nach, vermutet Dalibor. Ob die Erfindung für Metro ein Erfolg wird oder nicht, hänge ausschließlich von den Kunden ab. „Die Leute denken bei ihrem Einkauf aber leider nicht an die Arbeitsplätze.“

Laut Dalibor nutzt Metro eine einfache Taktik, um die Kunden zu den neuen Kassen zu drängen: lange Schlangen an den herkömmlichen Kassen. „Anstehen ist für die Leute das größte Ärgernis beim Einkaufen“, sagt auch der Psychologe Heiko Bolz. „Die Kunden sind für alles dankbar, das die Wartezeit verkürzt.“ Wenn die Technik einfach zu bedienen sei, setze sie sich durch. In Berlin scheint die Taktik bereits aufzugehen: Ein Drittel der Kunden, die mit EC- oder Kreditkarte zahlen, nutzen bereits die neuen Kassen.

Gerade in größeren Städten werden sich die Leute schnell an die Neuheit gewöhnen, prophezeit Konsum-Experte Bolz. EC-Automaten seien schließlich auch mal neu gewesen. „Mittlerweile trauert dem Schalterbeamten niemand mehr nach.“

Frau Wübben könnte jetzt mit ihrem Brot, der Butter, den Gurken, Tomaten und dem Pfirsichsaft auch zu einer der zwölf normalen Kassen gehen. Dort sitzen noch KassiererInnen. „Aber wenn ich das mit den Dingern jetzt nicht lerne“, sagt Frau Wübben, „kann ich irgendwann gar nicht mehr alleine einkaufen.“