Ein Immobilienfonds ist kein Marshallplan

Nach dem GSW-Verkauf fürchten die MieterInnen um ihre Wohnungen. Sicher ist: Der Investor will Mieten erhöhen

In der Aula des Kant-Gymnasiums in Spandau hängt ein Porträt von Immanuel Kant. Der Philosoph schaut, als frage er sich, was er in einer so trostlosen Umgebung zu suchen habe. Die Aula verbreitet den Charme eines SED-Tagungsortes. Es gibt Schöneres, als einen Abend in diesem Raum zu verbringen.

Wer es trotzdem tut, hat einen triftigen Grund. Die Abifeier des Kindes etwa. Am Montag war keine Abifeier. Trotzdem war die Aula rappelvoll: 300 Spandauer waren gekommen. Alle sind Mieter der Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft Berlin (GSW) und alle haben Angst. Diese Angst hat die Leute – Altersdurchschnitt: jenseits der 65 Jahre – am Montag in die Aula geführt. Die Mieter haben die Sorge, dass das Wort „gemeinnützig“ im Namen der GSW bald nur noch Fassade ist. Der Grund: Im Juli hat der Senat die größte Wohnungsbaugesellschaft Berlins verkauft. Über 400 Millionen Euro spülte das Geschäft in die Landeskasse. 1,7 Milliarden Euro Schulden der GSW übernimmt der Investor – eine Bietergemeinschaft aus einem Fonds der US-Investmentbank Goldman Sachs sowie der Fonds-Gesellschaft Cerberus. Und die wollen Geld verdienen.

66.000 Wohnungen und Gewerberäume gehören der GSW, über 200.000 Berliner wohnen darin. In Spandau hat die GSW mehr Sozialunterkünfte als anderswo. Viele Mieter leben seit 40 Jahren in den preiswerten Wohnungen. Sie sind – zum Teil auf Krücken – in die Aula des Kant-Gymnasiums gekommen, um zu fragen, was wird. Mit der Wohnung, mit der Miete, mit ihrem Zuhause. Der Mann, der die Antwort geben soll, ist Geschäftsführer der GSW, heißt Heinz Wirries und sitzt auf der Bühne an einem Tisch. Rechts neben ihm hängt Kant. Links sitzen Hartmann Vetter und Jürgen Wilhelm vom Berliner Mieterverein, der zu der Veranstaltung eingeladen hat. Die beiden machen Werbung für ihren Verein, was einen Zuhörer veranlasst zu fragen: „Ist die Veranstaltung Panikmache, um neue Mitglieder zu gewinnen?“ Ein Vertreter des US-Fonds ist nicht gekommen. Der GSW-Chef vertritt dessen Meinung gleich mit.

„Der Name des Investors Cerberus bedeutet auf Deutsch ‚Höllenhund‘“, sagt Mieterverein-Chef Vetter zu Beginn – so bringt man Sachlichkeit in eine Debatte. „Gehen wir jetzt also durch das Fegefeuer erhöhter Mieten?“ Das soll ein Scherz sein. Ein Zuhörer lacht. GWS-Chef Wirries geht auf solche Spitzen nicht ein. Souverän produziert er heiße Luft: „Ein Wohnungsunternehmen lebt von Mieten“, erklärt der Mann mit dem Doktortitel.

Die Zuhörer sind ungeduldig, einige üben schon künstliches Hohngelächter. Die Leute wollen wissen, ob sie sich auch nächstes Jahr die Miete leisten können. Nicht mehr, nicht weniger. Nach der ersten Stunde ist nur klar, dass die GSW will, dass die Mieter bleiben. Im Moment sei völlig ungewiss, was mit welchen Wohnungen passiere. „Der neue Besitzer prüft die Bestände noch.“ Deshalb seien Aussagen zu einzelnen Häusern noch gar nicht möglich, sagt GSW-Chef Wirries. Wenn die Prüfung Ende des Jahres abgeschlossen ist, wisse man mehr. Das ist genau das, was die Spandauer nicht hören wollten. Mieterhöhung? Luxussanierung? Oder nichts von beidem? Die Unsicherheit bleibt. „Ist jetzt Märchenstunde? Die Amis kaufen doch nicht und prüfen hinterher, du Lügner“, bringt ein älterer Herr hervor. Seine Stimme reicht nicht bis zum Podium. In den vorderen Reihen haben die Zuhörer das Hohngelächter mittlerweile perfektioniert.

Die Ersten verlassen entnervt den Saal. „Was erzählt der denn?“, fragt eine Frau. „Ich verstehe gar nichts.“ Das hat seinen Grund. Ob „Fonds“, „Portfolio“, „Prüfprozess“, „Mieterprivatisierung“ oder „Rahmengesetzgebung“ – der GSW-Geschäftsführer verpackt seine Erklärungen in gekonntes Bürokraten- und Wirtschaftsdeutsch. Viele Zuhörer können damit nichts anfangen.

Jürgen Wilhelm, beim Mieterverein für Spandau zuständig, bringt die Stimmung auf den Punkt. „Eine Fondsgesellschaft ist doch kein neuer Marshallplan.“ Und an den GSW-Chef gewandt: „Sie sind kein Gutmensch, sondern Geschäftsmann!“ Der Angesprochene bestreitet das gar nicht. Mieterhöhungen, die dazu führen, dass Leute ausziehen, werde es nicht geben. Das sei für das Unternehmen unwirtschaftlich, erklärt Wirries. „Wo der Markt es aber hergibt, werden wir die Mieten erhöhen.“ Es ist die erste klare Aussage des Abends. Zugehört hat zu diesem Zeitpunkt kaum noch einer. Außer Kant vielleicht. Aber der wohnt schon lange mietfrei. FELIX WADEWITZ