Der Witz der Spätmoderne

Zwei Motive durchziehen „Ghettos + Islands“ in der NGBK: genaues Beobachten und listige, fintenreiche Interaktion

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Vielleicht bleiben einem die Worte über Frank K. so lange im Ohr hängen, weil sie keinen weiten Weg gekommen sind. Nicht aus Dubai, nicht aus Caracas, von wo die „Ghettos + Islands – Über territoriale Segregation in Städten des 21. Jahrhunderts“ so ästhetisierend wie leidenschaftlich erzählen. Sondern nur aus Marzahn, wo Frank K. jeden Morgen um 4 Uhr das Werkzeug in seine Sporttasche packt, um mit der Straßenbahn zur S-Bahn und mit der S-Bahn nach Prenzlauer Berg zu fahren.

Dort arbeitet der 44-jährige als Kulissenfigur einer neuen, ach so kosmopolitischen und sowieso internationalen Bürgerlichkeit. In einer exklusiven Wohnanlage gibt er den Loft-Bewohnern den Concierge, den Hausmeister, den Laufburschen. Für jede dieser Rollen muss er, so will es der Investor, in unterschiedliche Uniformen schlüpfen, den Anzug, den Blaumann, die Uniform. Zwölf, meistens 14 Stunden später schlüpft er wieder in die S-Bahn, die Straßenbahn und in die Zweiraumwohnung im Plattenbau an den Rändern der Stadt.

Die beiden in Wien lebenden Architekten und Architekturkünstler Michael Zinganel und Michael Hieslmair haben diese urbane Alltagserzählung aufgenommen. Gemeinsam mit Alltagserzählungen von Arbeitsmigranten aus – eben – Dubai oder Caracas vertonen sie das Leben in den Städten. Eine andere Tonspur erzählt von einer jungen, ohrenscheinlich erfolgreichen Frau, deren Leben sich offenbar nur an Orten abspielt, die von Kameras beäugt und von elektrischen Toren umschlossen werden.

Stadtansichten, darum also geht es. Sind doch die Diskurse einer globalisierten, vor allem aber urbanisierten Welt längst auch zu so etwas wie einem eigenen künstlerischen Genre geronnen. Es ist en vogue, sich mit den stadtplanerisch verwalteten Lebensverhältnissen auseinanderzusetzen. Nach Klassenkampf und dem Schütteln der Geschlechterverhältnisse ist seit einigen Jahren der Raum an der Reihe. Sind es die Mauern zwischen den Menschen, die freigelegt oder gar eingerissen werden sollen.

Kunst in und vor allem über den Stadtraum ist schick, relevant und gegenwärtig. Zumal in einer Umgebung, an der die Kunst plötzlich selbst zum Akteur innerstädtischer Verschiebearbeiten zu werden scheint.

Anders gesagt: Ein paar Meter nur von der Oranienstraße, am Schlesischen Tor, haben einige längst die Galerien und Atelierräume als Indiz eines soziokulturellen Transformationsprozesses gelabelt. Weil kulturelles Kapital von günstigen Mieten angezogen wird – und von den Menschen, den Clubs und den Bars –, werden die Mieten mittelfristig steigen.

„Ghettos + Islands“, ursprünglich eine Ausstellung des Heidelberger Kunstvereins, die für ihr Gastspiel in der NGBK und im Kunstraum Bethanien um einige entscheidende Momente und Motive bereichert wurde, weiß um diese Mikromechanismen der Macht. Und ist genau deshalb keine moralische Schau geworden. Stattdessen durchziehen die 24 gezeigten Werke und Werkgruppen zwei Motive: genaues Beobachten und listige, fintenreiche, ja ironische Interaktionen.

Da sind zum einen die stoischen Architekturfotografien des in Caracas geborenen Filmemachers Alexander Apostol, der die modernistische, utopistische Aufbruchsstimmung seiner Geburtsstadt aus den 1950er-Jahren ohne fehlgeleitete Empathie mit den improvisierten Behausungen der heutigen Vororte (Barrios) kontrastiert. Oder der Schilderwald des Konzeptkünstlers Christo Doherty, drapiert aus hundert unterschiedlichen Logos, mit denen südafrikanische Sicherheitsdienstleister an den Gartenzäunen der von ihnen bewachten Objekte für ihr Business werben. Da ist zum anderen der unmittelbar körperliche Kommentar von Carey Young, die sich kriechend, krümmend, kauernd um Orientierung in der Retortenstadt Dubai müht. So wie diese Stadt keine Geschichte hat, so scheinen es die großformatigen Fotografien zu erzählen, kann sie auch kein Körper begreifen.

Ein Fest dann Javier Téllez’ Videodokumentation über ein historisches Zirkusspektakel in Tijuana an der mexikanisch-kalifornischen Grenze. Doppelt ausgegrenzte psychisch Kranke mexikanischer Staatsangehörigkeit inszenieren eine wilde Feier, an dessen Ende „Canonball Smith“ – als lebende Kanonenkugel eben eine US-amerikanische Legende – über den zehn Meter hohen Grenzzaun geschossen wird. Diese Arbeit ist ein Witz. Aber genau das hat sie ja allzu oft mit den spätmodernen Lebensverhältnissen gemeinsam. Auch davon erzählt „Islands + Ghettos“.

Noch bis zum 26. April in der NGBK, Oranienstraße 25, und im Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz. Stadtspaziergang zur politischen Architektur Berlins am kommenden Sonntag, 11 Uhr, vom Reichstag aus. Anmeldung erforderlich unter: citywalk@urbandialogues.de