Briefflut vom Kazü

Ursula Ziebarth wurde 1921 in Berlin geboren und studierte von 1940 bis 1945 Mediävistik, Kunstgeschichte und Germanistik. „Ein Berufsziel“, schreibt sie in einem Lebenslauf, „hatte ich nie. Ich dachte, es würde sich schon etwas ergeben – und so war es auch.“ Vor allem ergaben sich Ursula Ziebarths jahrzehntelange Tätigkeit als Leiterin der Bibliothek beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin sowie eine multiple Autorenschaft: Nach Schulbuchtexten in den Fünfzigerjahren veröffentlichte sie 1976 „Hexenspeise“, 1979 „Ein Kinderspiegel“ (1997 wiederveröffentlicht in der Bibliothek der Provinz, 300 Seiten, 29 Euro), 1991 „Eine Frau aus Gold“ sowie im vergangenen Jahr „Trau deinen Augen“, ein Erinnerungsbuch an Otto Dix (Wallstein Verlag, Göttingen, 56 Seiten, 14 Euro).

Im Jahr 2001 erschien „Hernach. Gottfried Benns Briefe an Ursula Ziebarth“ (als Taschenbuch bei dtv, 502 Seiten, 15 Euro). 1954 hatten sich Benn und Ziebarth in Worpswede kennen gelernt – der Auftakt zu einer Liebe zwischen zwei eigenwilligen, ja bisweilen antagonistischen Individuen und zu einer spannend zu lesenden Briefflut, von der leider nur Benns Schreiben erhalten geblieben sind. Ein Umstand, den Ursula Ziebarth mit ihren kommentierenden „Nachschriften“ glänzend kompensiert.

Wohl keinem späteren Herausgeber wäre es gelungen, den anspielungsreichen Briefwechsel so umfassend zu dechiffrieren – die Nachwelt hätte zum Beispiel nie erfahren, wieso Benn (1886 - 1956), der seit der Edition seiner Briefe an Elinor Büller und Tilly Wedekind aus den Dreißigerjahren auch als Liebesbriefschreiber gefeiert wird, manches Schreiben mit „Dein Kazü“ unterzeichnete. „Kazü“ stand für Kaninchenzüchter – ein Wort, in dem sich Ursula Ziebarths gelegentlicher Verdruss über den verheirateten und sehr auf Wahrung äußerer Konventionen bedachten Pastorensohn bündelte. RKR