Ärger mit sechs Satelliten

Osten gleich Osten? Von DDR bis Bulgarien? György Dalos erzählt die Ereignisse, die vor 20 Jahren zum Ende der realkommunistischen Regime führten, und fragt nach den länderspezifischen Voraussetzungen und Entwicklungen. Ohne Helden, ohne Nostalgie

Er hat nicht den Tunnelblick vieler deutscher Autoren, denen zu 1989 nur das selbstgefällige Wort von „unserer Revolution“ einfällt. Der in Berlin lebende ungarische Schriftsteller György Dalos blendet jene externen Faktoren nicht aus, ohne die es den Fall der Mauer nicht gegeben hätte. Dazu gehört die Ernennung Michail Gorbatschows zum Partei- und Staatschef im März 1985 ebenso wie die Gewerkschaftsbewegung Solidarność in Polen mit ihren zehn Millionen Mitgliedern (1981) sowie die Einrichtung des runden Tischs in Warschau und die Grenzöffnung in Ungarn. Alle diese Ereignisse lagen zeitlich Jahre oder mindestens Monate vor der Wende in der DDR im November 1989.

Gorbatschows Machtantritt hatte eine „magische Wirkung auf die Peripherie“ – zuerst in Polen und dann in Ungarn, während die Opposition in der DDR noch auf kleine kirchlich, pazifistisch oder ökologisch orientierte Gruppen beschränkt blieb. Intern erklärte Gorbatschow bereits am 3. Juli 1986: „Wie es war, so kann es nicht weitergehen. Das bedeutet nämlich, dass wir sie uns auf den Hals laden.“

Mit „sie“ waren die im Warschauer Pakt zusammengeschlossenen Satellitenstaaten gemeint. Allen gemeinsam war, dass sie in einem ökonomisch katastrophalen Zustand waren. Gorbatschow verfolgte ehrgeizige Reformziele in der Sowjetunion, wollte aber weder für die 80 Milliarden Dollar Auslandsschulden der „Bruderländer“ aufkommen noch deren Sanierung finanzieren.

Dalos schildert die jeweils spezifischen Voraussetzungen und Entwicklungen in allen sechs Bruderstaaten. In Polen formierte sich eine starke Opposition schon 1981 um Solidarność: „Unsere Gewerkschaft knüpft an die Tradition der Arbeiterbewegung an, die uns in den Idealen der sozialen Gerechtigkeit, der Demokratie, der Freiheit und der Unabhängigkeit bestärken.“ Daran hielt sie sich auch nach den zwei Jahren unter dem Kriegsrecht und zwang die Regierung schließlich am 6. Februar 1989 zu Verhandlungen – Dalos zufolge „eine absolute Pionierleistung“. Die beiden ungleichen Partner, die kommunistische Regierung und die politisch keineswegs homogene Opposition, vereinbarten im Mai 1989 einen „friedlichen Weg aus der Diktatur“ (Adam Michnik). Bereits nach den ersten Wahlen zu beiden Kammern im Juni begann jedoch die Parteienzersplitterung, die die Gewerkschaftsbewegung aufrieb und die Bevölkerung der Politik entfremdete.

Im Gegensatz zur DDR, wo sich die Reisebeschränkungen zum Sprengsatz für die SED-Herrschaft entwickelten, hatten die Ungarn schon Mitte der 80er-Jahre das Recht, alle drei Jahre ins Ausland zu fahren. Die relativ gute Versorgung mit Konsumgütern brachte dem Regime die Bezeichnung „Gulaschkommunismus“ ein. Trotzdem stieg der Druck, und das Regime legalisierte im Januar 1989 oppositionelle Gruppen. Im März wurde ein runder Tisch eingerichtet. Die Öffnung der Grenze zu Österreich am 27. Juni 1989 zog fluchtwillige DDR-Bürger in großer Zahl ebenso an wie die Besetzung der bundesdeutschen Botschaft in Prag.

Dadurch und vor allem auch durch das Westfernsehen, das die Montagsdemonstrationen in Leipzig live übertrug, geriet das SED-Regime ins Wanken und implodierte schließlich im November. Nach Massendemonstrationen in Prag kam es hier zu einer Koalitionsregierung der KP mit der Opposition. Nach der Verfassungsänderung wurde Václav Havel am 29. 12. 1989 zum Präsidenten und Alexander Dubček – der Volksheld von 1968 – zum Parlamentspräsidenten gewählt.

Dalos’ Buch besticht durch seine phrasenlose Erzählung und seine nüchterne politische Analyse. Angesichts der Zumutungen, die im Jubiläumsjahr noch zu erwarten sind, kann man das Buch nur empfehlen, das das Jahr 1989 ins rechte Licht stellt. RUDOLF WALTHER

Fotohinweis:György Dalos: „1989. Der Vorhang geht auf – Das Ende der Diktaturen in Osteuropa“. C. H. Beck Verlag, München 2009, 272 Seiten, 19,90 Euro