Stoibers blühende Landschaften

Mach weiter, Edmund, da sind noch mehr Prozente drin! Denn alle Bayern müssen Sieger werden. Eine Wahlanalyse

Auf dem Jochberg über dem Walchensee wurde gestern mit einem feierlichen Berggottesdienst nach vierzig Jahren ein neues Gipfelkreuz eingeweiht, und ich war zufällig dabei, weil ich, wie viele Münchner am ersten Wiesnsonntag, Zuflucht in den Bergen suchte. Keine Wolke war am Himmel, und dem überwältigten Betrachter lag das ganze Oberland in seiner saftig-grünen Pracht zu Füßen, während die eigens aufgestiegene Blasmusik spielte. Eine majestätische Szenerie, die mir präziser und früher als jede Hochrechnung ankündigte, dass das allseits vorausgeahnte Ergebnis der bayerischen Landtagswahl Wirklichkeit werden würde.

Die einheimischen Männer und Frauen saßen in Tracht und festlich gestimmt an den Biertischen, und ich fragte mich, welche Argumente es wohl sein müssten, die sie dazu brächten, nicht CSU zu wählen. Das hatte sich Franz Maget von der SPD auch gefragt, und für immerhin knapp 19 Prozent des zur Abstimmung angetretenen Wahlvolks war er der Mann mit dem besseren Programm. Unbegreiflich eigentlich. Nimmt man noch die ca. 7,5 Prozent der Grünen dazu und schließlich die ungefähr 12,5 Prozent der nicht im bayerischen Landtag vertretenen Parteien, kommt man ins Grübeln. Was ist denn los in diesem Land?

Seit Menschengedenken wird es von der CSU regiert, jener Partei, die es wie keine andere verstanden hat, sich zum politischen Abbild seiner Bevölkerung zu machen. Unter ihrer Hand wurde aus einem rückständigen Agrarland ein europäischer Modellstaat-im-Staat, in dem Bildung und Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur zu einzigartiger Entfaltung gelangt sind, die einen um historische Vorbilder verlegen macht. Venedig in seiner Blütezeit? Die toskanischen Stadtstaaten der Renaissance? Alles nichts im Vergleich zu Stoibers blühenden Landschaften. Oberflächlich könnte dieses Phänomen mit dem bockbeinigen, anarchischen und irgendwie generell nicht zu vereinnahmenden Wesen erklärt werden, das den Bayern gerne zugeschrieben wird. Oder warum sonst verschließen sich 40 Prozent der Wählerschaft noch immer der Einsicht, dass in diesem Winkel der Welt für alles gesorgt ist, alles getan ist, die Geschichte in einem irdischen Paradies ihr glorioses Ende gefunden hat?

Aber dieses Klischee trifft es nicht. Schließlich lag die Wahlbeteiligung ja nur bei 57 Prozent. Da jeder wusste, wie die Landtagswahl ausgehen würde, darf man unterstellen, dass die 43 Prozent Nichtwähler ihre Zustimmung zur Alleinherrschaft der CSU durch sattes, zufriedenes Schweigen zu erkennen gegeben haben. Bei einer Wahlbeteiligung von 100 Prozent hätten also etwa 75 Prozent CSU gewählt, was doch für Lernfähigkeit spricht. Aber es ist noch mehr drin.

Franz Maget von der SPD war gestern zumindest formal der geschlagene Oppositionsführer. Doch dafür wirkte er in seinen Interviews verdächtig locker, ja geradezu erlöst. Nun aber, hat er erklärt, sei es an der Zeit, über eine grundsätzliche Reform der bayerischen SPD zu sinnieren. Dem stimmt man gerne zu. Zu denken ist zum Beispiel an ihre Auflösung und anschließende Masseneintritte in die CSU.

Auch die anderen Oppositionsparteien (Grüne, Freie Wähler, Bibeltreue Christen etc.) sind aufgefordert, diesem Weg zu folgen. Dann können bei der nächsten Wahl endlich auch die als Sieger feiern, für die das politische Leben in Bayern bisher nur Niederlagen bereitgehalten hat. Und die CSU zeigt der SED requiescat in pace, wie man mit lauter Freiwilligen auf 99,9 Prozent kommt. GEORG M. OSWALD