Die Unschuldige

Jane Birkin kommt und singt. Vielleicht dankt sie danach ihrem Friseur. Man weiß es nicht

Jane Birkin ist die popmusikalische femme fragile par excellence. Zwar wagten sich nach ihr noch viele Sängerinnen mit ähnlich geringem Lungenvolumen vor die Mikrofone, doch bei denen klingt das Resultat weniger nach entblößtem Herzen als nach Körperteilen, die der Oberfläche näher liegen. Auch ihrem Pygmalion Serge Gainsbourg diente die Engländerin zunächst als Projektionsfläche für allerlei Lüsternheiten („Lolita, go home“), doch im Laufe der Jahre schwamm sie sich frei von allen Rollenspielen falscher Unschuld. Mit der Folge, dass sich heute, dreizehn Jahre nach Gainsbourgs Tod, Autoren darum reißen, ihr die schönsten, traurigsten und bisweilen auch neurotischsten Lieder zu schreiben. Jane Birkin selbst allerdings ist seit drei Jahren mit einem arabisch aufbereiteten Gainsbourg-Programm auf Welttournee und gastiert heute zum Auftakt des Europafests noch einmal im Potsdamer Nikolaisaal. Vermutlich wird sie sich wie beim Konzert vor einem Jahr im Überschwang des Applauses selbst noch bei ihrem Pariser Friseur bedanken, aber Jane Birkin ist vermutlich die einzige Sängerin auf dieser Welt, bei der diese menschheitsumfassende Dankbarkeit zwar schrullig, aber auch sehr rührend wirkt. RKR