Die Fähigkeit, Nein zu sagen

taz-Sommerschule (7): Zentraler Lernstoff der Bachelors sind Schlüsselqualifikationen – die alle toll finden. Ohne Urteilskraft zum Njet dienen sie nur der mentalen Ausbeutung

Dienen Schlüssequalis nur dazu, Studis aufs Funktionieren im Gegebenen zuzurichten?

Die Einführung der Bachelors in Deutschland verbreitet viel Unbehagen. Zu verschult, zu wenig international, voller Spezialwissen – alle Beteiligten klagen über die dreijährigen Kurzstudiengänge. Nur wenn von Schlüsselqualifikationen die Rede ist, beginnen die Augen zu leuchten. Ob Lehrende oder Studierende, Bosse oder Gewerkschafter, ob konservative, neoliberale oder linke PolitikerInnen oder auch welche von der SPD: Alle sind sich einig, dass Schlüsselqualifikationen die Einzelnen, das Unternehmen und sogar den Standort voranbringen. Doch worüber ist man sich da so schön einig?

Auf Nachfrage ergibt sich ein kunterbunter Strauß. Dessen Blüten müssen hier, sorry, mal in ihrer ganzen Pracht erstrahlen dürfen – damit man sieht, wie üppig heute Schlüsselqualis sprießen. Das sind zunächst so genannte GRUNDLEGENDE KULTURTECHNIKEN wie Rechnen und Lesen, aber auch fehlerarmes Schreiben und Fremdsprachigkeit, interkulturelle Kompetenzen, Vertrautheit mit Informationstechnologien, nicht zu vergessen das individuelle Zeitmanagement. Dazu kommen BEFÄHIGUNGEN ZUR INDIVIDUELLEN FLEXIBILITÄT wie Mobilität, lebenslanges Lernen, Fähigkeit zum Berufswechsel (weil der zum biografischen Normalfall werde), Risikobereitschaft und Innovationsneigung. Auch KOGNITIVE FERTIGKEITEN werden zum Schlüsselwissen gerechnet – das ist kritisches Denken, innovative Neugier, vernetztes und Mehr-Ebenen-Denken, Methodenkompetenz und methodische Reflexion, die Befähigung zur gesellschaftlichen Kontextualisierung und Handlungsfolgenabschätzung sowie die Fähigkeit, Wissen und Informationen zu verdichten und zu strukturieren und eigenverantwortlich weiterzulernen.

Schließlich wird gern von SOZIALEN KOMPETENZEN gesprochen, also der beinahe schon vertrauten Kommunikationsfähigkeit, der Teamfähigkeit, dem Konfliktmanagement und Multitasking, der Zielorientiertheit, Entscheidungsstärke und, auch das noch, der Stressstabilität …

Kein Mensch wird das alles je zusammen auf die Reihe bekommen. Eine allgemeine Verwirrung deutet sich hier an. Zwar wird in Deutschland weithin versäumt, grundlegende Fähigkeiten in der Elementarbildung zu vermitteln. Fehlende Kita-Plätze oder mangelnde Betreuungsqualität sind breit diskutierte und beinahe allgemein akzeptierte Gründe dafür. Zwanzig Jahre später jedoch sollen die derart schlecht Gestarteten plötzlich als Kraftmaschinen auftreten, die ihre Energie aus den akkumulierten Schlüsselqualifikationen beziehen.

Wer heute studiert, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit morgen unter Druck komplizierte Sachverhalte entscheiden – und in solchen Situationen sicher handeln müssen. Dafür muss sie oder er in der Lage sein, Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen, Ursache-Wirkungs-Bündel ausfindig zu machen, Handlungsoptionen zu wählen, Problemlösungen zu organisieren – und Prozesse zu steuern. Man möchte in keiner Stadt leben, in der ein Schichtleiter des Elektrizitätswerks diese Dinge nicht beherrscht.

Neben diesen instrumentellen Fähigkeiten aber geht es um human touch – und dort schlägt die Stunde der Wahrheit für die Schlüsselqualifikationen: Dienen sie lediglich dazu, Studierende aufs Funktionieren im Bekannten und Gegebenen zuzurichten? Dabei soll wohl so etwas wie soziale Minimalverträglichkeit herausspringen. Im Job gerne mit dem Satz adressiert: „Bitte, seien Sie jetzt nicht anstrengend!“ Oder fördern sie die individuellen Fähigkeiten, das eigene Handeln gesellschaftlich einzuordnen und in seinen Folgen abzuschätzen, vermeintliche Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen, also schlussendlich kompetent zu urteilen?

Es ist wieder einmal die alte Frage: die nach der individuellen Emanzipation. So gestellt, könnten sich eigentlich gar nicht alle einig sein, wenn es um Schlüsselqualifikationen in Bachelor-Studiengängen geht.

Denn kommunikationsfähig sein, interkulturell agieren, Wissen verdichten und Informationen verknüpfen, all das sind erst einmal nichts weiter als technische Fähigkeiten – so erlernbar wie unter Umständen folgenlos. Wenn daraus Schlüsselqualifikationen werden sollen, müssen sie den Studierenden in die Lage versetzen, kompetent urteilen zu können. Das lässt sich ja auch ganz einfach feststellen: An der Fähigkeit, wo es nötig ist, Nein zu sagen. PEER PASTERNACK

Der Autor (41) arbeitet am Institut für Hochschulforschung der Uni Halle-Wittenberg. In der Sommerschule gehen AutorInnen der Frage nach, „wohin die Bildungsreformen in Kitas, Schulen und Hochschulen führen“.