Neue Gewaltwelle

Jugendliche zetteln in einem Dorf auf Korsika Randale an. Frankreichs Regierung spricht aufgeregt von „Terror“

PARIS taz ■ Das Dorf Luri, auf einem Berg im Norden Korsikas, ist seine acht Gendarmen los. Ihre Frauen und Kinder sind schon am Wochenende abgereist. Aus Sicherheitsgründen. Die uniformierten Männer selbst warten noch auf ihre Versetzung. Anschließend werden neue Gendarmen in die Kaserne einziehen – so wie es auch der mehrheitlich nationalistisch besetzte Gemeinderat von Luri gefordert hat.

In den vergangenen Tagen war es in dem kleinen Dorf zu offenen Feindseligkeiten vor der Kaserne gekommen. Es begann mit der Festnahme von sieben jungen Männern aus Luri am vergangenen Donnerstag. Sie standen unter Verdacht, Anfang September Molotowcocktails gegen die Gendarmerie geworfen zu haben. Am selben Abend riegelten aufgeregte DörflerInnen die Kaserne mit Eisenketten und Vorhängeschlössern ab.

Am Samstag kamen fünf Festgenommene frei. Doch zwei andere wurden nach Paris überführt – zum Anti-Terror-Richter. Der schwere Vorwurf gegen die beiden 19- und 23-jährigen Männer: Verdacht auf „Bildung einer terroristischen Vereinigung“. Als die Information gegen Mitternacht nach Luri gelangte, gingen dort alle Lichter aus. Mehrere dutzend Vermummte warfen Steine und Molotowcocktails gegen die Kaserne. Zwei Gendarmenautos gingen in Flammen auf. Und mehr als hundert Menschen, darunter Prominente aus der nationalistischen Szene der Insel, demonstrierten lautstark gegen die „Deportation unserer Kinder“. Dabei kam es zu Drohungen gegen die Gendarmen und gegen ihre Kinder, die bis zum Wochenende in die Dorfschule gingen. Erst als eine knappe Hundertschaft von Gendarmen aus umliegenden Ortschaften anrückte, zogen sich die DemonstrantInnen zurück.

Niemand in Luri bestreitet, dass die jungen Männer „eine Dummheit“ gemacht haben, einen „Dumme-Jungen-Streich“. Die beiden selbst wollen aus „Rache“ wegen einer vorausgegangenen Festnahme wegen Fahrens ohne Führerschein gehandelt haben. In jedem Fall gelten in Luri die Ermittlungen wegen eines terroristischen Vergehens als „völlig unverhältnismäßig“. So erklärte es der Gemeinderat.

Ganz anders reagiert Paris. Dort kündigt Innenminister Nicolas Sarkozy an, er werde „hart durchgreifen“. Die Randale in Luri geschieht in einem angespannten politischen Klima. Seit Anfang dieses Jahres wurden auf der von 250.000 Menschen bewohnten Insel 211 Attentate und Attentatsversuche registriert, 77 allein in diesem Sommer. Anfang Juli war die nationalistische Bewegung auf Korsika, die rund 20 Prozent der InsulanerInnen repräsentiert, in die Defensive geraten: erst wurde der seit Jahren flüchtige mutmaßliche Präfektenmörder Yvan Colonna gefasst, dann stimmte eine Mehrheit der InselbewohnerInnen gegen das von nationalistischer Seite gewollte neue Inselstatut, dann setzte eine Verhaftungswelle gegen jene KorsInnen ein, die Colonna bei seiner Flucht geholfen und versteckt haben. Seither sind auf der Insel mehrere neue Untergrundorganisationen entstanden. DOROTHEA HAHN