Last-Minute-Abschiebungen

Lässt die Ausländerbehörde Bosnier abschieben, bevor sie ab Januar bleiben dürfen? Der Fall Ristic wirft für den Innensenator unangenehme Fragen auf. Migrationsbeauftragter will Abschiebestopp

VON FELIX WADEWITZ

Lässt die Berliner Ausländerbehörde derzeit gezielt bosnische Flüchtlinge abschieben? Nein, sagt Innensenator Ehrhart Körting (SPD). Ja, meint dagegen Jens-Uwe Thomas vom Berliner Flüchtlingsrat und verweist auf das neue Zuwanderungsrecht, das im Januar 2005 in Kraft tritt. Damit erweiterten sich auch die Härtefallmöglichkeiten. Einigen Flüchtlingen, die jetzt noch ausgewiesen werden können, wird nach dem neuen Gesetz die Abschiebung erspart.

Der Fall, an dem sich der Streit zwischen Körting und Thomas entzündete, nahm seinen Anfang in der vergangenen Woche. Am Dienstag meldete sich die Familie Ristic mit ihrer 16-jährigen Tochter Sanja bei der Ausländerbehörde. Eigentlich wollte die Familie, die seit neun Jahren in Berlin lebt, nur ihre Duldung verlängern. Doch plötzlich klickten die Handschellen. Die drei wurden in die Abschiebehaft nach Köpenick gebracht. Zur selben Zeit holte eine Zivilstreife die jüngere Tochter Tanja aus der Schule. Während die Mitschüler geschockt zurückblieben, wurde die 13-Jährige in das Gefängnis zu ihrer Familie gebracht.

In Köpenick wird bald klar: Der Vater und die ältere Tochter Sanja sollen abgeschoben werden. Nur Tanja kann einen Asylantrag stellen. Ihre Mutter darf ebenfalls bleiben. Milica Ristic leidet seit Mitte der 90er-Jahre unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Am Mittwochmorgen wurden der Vater und die ältere Tochter ausgeflogen. Tanja und ihre Mutter kommen sechs Stunden später frei.

Doch das war noch nicht das Ende des Falls. Auch Tanjas Asylantrag sollte Konsequenzen haben: Mutter und Tochter sollten plötzlich in eine Sammelstelle für Asylbewerber ziehen – nach Köln. Tanja hätte ihre Schule verlassen müssen. Doch dagegen gingen ihre Mitschüler auf die Straße. Mit Erfolg: Gestern schaltete sich Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) ein. Das Ergebnis: Tanja und ihre Mutter dürfen für die Dauer ihres Asylverfahrens in Berlin bleiben. Die beiden mussten gestern allerdings ihre Wohnung verlassen und in eine Unterkunft für Asylbewerber einziehen.

Ein Einzelfall? Nicht nur Jens-Uwe Thomas von Flüchtlingsrat meint Nein, sondern auch die Neuköllner Migrationsbeauftragte Karin Korte. „Diese Vermutung liegt leider nahe“, sagt Korte. Mit Zahlen lässt sich diese These aber nicht belegen. Innensenator Körting verweist auf das rechtskräftige Urteil im Fall Ristic und versichert: „Niemand, der ab Januar bleiben darf, wird in diesem Jahr abgeschoben.“

Wie auch immer. Inzwischen hat der Fall Ristic auch ein parlamentarisches Nachspiel. „Ein Kind aus der Schule zu holen ist wirklich inhuman“, findet der CDU-Abgeordnete Ulrich Brinsa. Erst im vergangenen Jahr habe Innensenator Ehrhart Körting (SPD) versprochen, dass während des Unterrichtes „keine Schulkinder aus dem Klassenverband entfernt werden“.

Körting selbst betonte, dass die Polizisten Tanja nicht aus dem Unterricht gezerrt hätten, sondern behutsam vorgegangen seien. Die Beamten seien in Zivil erschienen, hätten das Sekretariat informiert und den Klassenraum überhaupt nicht betreten.

Der Berliner Migrationsbeauftragte Günter Piening erneuerte gestern seine Forderung nach einem Abschiebestopp für bosnische Flüchtlinge.