Herrschaftsfreie Zone

Wenn Frauen- zur Familienpolitik verkommt: 21 Jahre haben die Frauen von „Denk(t)räume“ sich in Theorie und Praxis der Frauenförderung verschrieben. Dabei ist eine riesige Bibliothek entstanden. Jetzt steht das Projekt vor dem finanziellen Aus

von Doro Wiese

Bereits im Flur stapeln sich Bücher und Ordner in den Regalen. „Seitdem Denk(t)räume mit dem Hamburger Landesfrauenrat fusioniert ist, haben wir einen enormen Bestand an Büchern über die erste und zweite Frauenbewegung. Durch die Materialien der Arbeitsstelle für Frauen- und Geschlechterforschung wird auch der wissenschaftliche Bereich abgedeckt.“ Elsbeth Müller, langjährig bei Denk(t)räume für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig, ist sichtlich um Fassung bemüht. Denn zum Jahresende wird die städtische Förderung der alternativen Bildungseinrichtung für Frauen gänzlich eingestellt. War der Weiterbildungsbereich bereits vor zwei Jahren vollständig gestrichen worden, droht der 21-jährigen Institution nun das finanzielle Aus. „Dabei hatten wir uns gerade umstrukturiert und sind Kooperationen eingegangen, um unsere Arbeit fortzusetzen. All das bricht jetzt weg.“

Angetreten war die Bildungseinrichtung 1983 mit dem Ziel, den Alltag von Frauen, also ihre Praktiken, in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken. „Man wollte vom so genannten Objektstatus der Frau Abschied nehmen. Denn die Geschichtsschreibung orientierte sich an großen Männerfiguren, während Frauen in Politik, Kultur, Geschichte nicht genannt wurden“, sagt Elsbeth Müller.

Begonnen wurde mit viel ehrenamtlichem Engagement in einem Kellerraum in der Juliusstraße. „Am Anfang hatten wir große Ziele“, sagt Müller. „Wir wollten die Gegensätze zwischen Theorie und Praxis überwinden, waren gegen Arbeitsteilung und Hierarchien.“ Obwohl viele der hoch gesteckten Ziele noch immer in weiter Ferne sind, fand das stetig wachsende Angebot von Denk(t)räume mit den vier Säulen „Weiterbildung – Archiv – Bibliothek – Infothek“ Resonanzen im Alltag von Frauen.

„Wir wollten andere Methoden und Inhalte, um auch bildungsferne Frauen ansprechen zu können“, sagt Müller. Indem zum Beispiel Bildungsurlaub mit Kinderbetreuung angeboten wurde, konnten Frauen mit Kindern die Angebote teilweise überhaupt erst wahrnehmen. Und die thematische Auseinandersetzung fand eine Fortsetzung, denn „viele Frauen haben anschließend in ihrem Leben Veränderungen vorgenommen“.

Auch das Team, das in den Hochzeiten der ABM-Maßnahmen zehn Frauen umfasste, war zu alternativen Strukturierungsformen bereit: „Es hat in all den Jahren keine Lohn- und Entscheidungshierarchien gegeben. Und ich würde heute noch sagen, dass es trotz aller Mühsal ein gutes Prinzip war.“

Mit dieser Geschichte im Rücken fällt es schwer, das Erkämpfte aufzugeben. „Es wird so getan, als ob wir uns dem Staat aufdrängen. Dabei haben wir mit der Förderung von Frauen eine Aufgabe übernommen, die lange Jahre für wichtig befunden wurde. Das war gesellschaftlich gewollt und anerkannt“, beschreibt Elsbeth Müller ihre Frustration. „Zwar sagt die Behörde für Bildung und Sport immer wieder, sie habe ein dezidiertes Interesse am Fortbestehen unserer Institution. Aber wie sie das ohne Förderung schaffen soll, ist fraglich. Dabei sind ohnehin nur noch die Bücher und das Archiv geblieben. Soll man das alles wegschmeißen? Ich denke, wenn sich in Hamburg keine finanzielle Unterstützung finden lässt, gebe ich die Sammlung nach Bella Donna in Bremen.“

Doch zunächst will die 53-jährige ausgebildete Gymnasiallehrerin für den Fortbestand in Hamburg kämpfen. Zusammen mit einer Unterstützerinnengruppe wird an Stiftungen und Privatpersonen herangetreten, die beispielsweise Buchpatenschaften übernehmen können. „Es gibt überall in Europa ähnliche Institutionen, die sehr geschätzt und auch gefördert werden. Es ist kaum zu glauben, dass der Hamburger Senat meint, sich das nicht leisten zu können.“

Allgemein beobachtet Müller einen Umschwung von der Frauen- zur Familienpolitik. „Dabei denke ich, dass sich grundsätzlich an der strukturellen Gewalt und am Ausschluss von Frauen nichts geändert hat in all den Jahren. Im Bildungs- und sozialen Bereich werden Frauen wieder dort beginnen müssen, wo sie am Beginn der zweiten Frauenbewegung standen: „Beim klassischen Ehrenamt.“

Infos: www.denktraeume.de