Flucht vor der rebellischen Heimatfront

Kaum ein Tag vergeht ohne Negativschlagzeilen für US-Präsident Bush. Nun mischen sich auch noch die Haushälter in seine Irakpolitik ein

WASHINGTON taz ■ Wie im Herbst 2002, als US-Präsident George W. Bush den Gang zur UNO antrat und die Weltgemeinschaft von der Notwendigkeit einer harten Haltung gegenüber Bagdad zu überzeugen suchte, trägt auch die Entscheidung, die UNO nun in die Irak-Nachkriegsordnung einzubinden, die Handschrift von Außenminister Colin Powell. Sie ist das deutliche Signal, dass die moderaten Kräfte in Washington an Oberwasser gewonnen haben. Die neokonservativen Kriegstreiber sind kleinlaut geworden, einige üben sich vorsichtig in Selbstkritik. Die New York Times nannte denn auch den Schritt „eine der wichtigsten Änderungen in der US-Strategie seit Ende der Hauptkampfphase“.

Mit der Entscheidung haben sich Realität und Pragmatismus gegen Ideologie durchgesetzt. Der Richtungswechsel deutete sich bereits seit Wochen an. Jüngst räumte selbst der Falke im Außenministerium und Powells Stellvertreter, Richard Armitage, erstmals Fehler bei der Planung der irakischen Nachkriegsordnung ein und dachte laut über eine UNO-geführte Irak-Mission nach. Kurz vorher hatte er solche Überlegungen für beendet erklärt. Am Mittwoch dürfte dann selbst die erzkonservative Washington Times beim Frühstück im Weißen Haus für Ungemach gesorgt haben. Sie zitierte einen Militär-Geheimbericht an den US-Generalstab, der belegt, wie fehlerhaft und überstürzt die Pläne für den Irakkrieg ausgearbeitet worden seien.

Kaum ein Tag vergeht ohne Negativschlagzeilen für die US-Regierung: Die Lage im Irak droht der US-geführten Besatzungsmacht zu entgleiten. Nicht nur wegen der vielen Toten unter den eigenen Soldaten. Allein in den vergangenen vier Wochen wurden drei verheerende Anschläge auf die jordanische Botschaft, das UN-Hauptquartier in Bagdad und vergangenen Freitag auf die Ali-Moschee in der Schiiten-Hochburg Nadschaf verübt. Der Handlungsdruck auf das Weiße Haus ist enorm, zumal an der Heimatfront immer mehr Menschen Bush die Gefolgschaft versagen, wie jüngste Umfragen belegen.

Auch im Kongress rebellieren Senatoren und Abgeordnete aufgrund der explodierenden Kosten des Irakeinsatzes. Am Dienstag warnte die dem US-Kongress unterstellte Haushaltsbehörde CBO in einem Bericht, der derzeitige Umfang der US-Engagements in der Golf-Region lasse sich nur noch bis März aufrechterhalten. Falls dort wie bisher rund 180.000 Soldaten stationiert bleiben sollten, müsse entweder die Stärke der gesamten Armee erhöht werden oder ein Truppenabzug aus anderen Regionen werde erforderlich. Eine andere Möglichkeit sei die Änderung der Rotationszeiten für Soldaten im Auslandseinsatz – eine Alternative, die vermutlich ausscheidet. Der Unmut bei Soldatenfamilien ist schon jetzt groß. Das Pentagon hatte ihnen eine rasche Heimkehr der Soldaten versprochen. Derzeit könnten die USA daher dauerhaft nur zwischen 38.000 und 64.000 Soldaten für den Irak bereitstellen, weil nicht genügend Ersatztruppen zur Verfügung stünden, schlussfolgert der CBO-Bericht. Dieses Engagement würde bis zu zwölf Milliarden Dollar im Jahr kosten.

Derzeit verschlingt der Irakeinsatz monatlich rund vier Milliarden Dollar aus dem US-Haushalt, der auf das größte Defizit der amerikanischen Geschichte zusteuert. Der Gang zur UNO ist also alles andere als eine Überzeugungs-, sondern eher eine Verzweiflungstat.

MICHAEL STRECK