fußpflege unter der grasnarbe
: Betriebssportgruppe, deren Personalchef dem deutschen Sozialabbau seinen Namen verleiht

Ich muss gleich zu Beginn eingestehen: Ich war in meinem Leben noch nie in Wolfsburg. Für diese Region im Dreieck der Mittelmäßigkeit zwischen Magdeburg, Braunschweig und Hannover habe ich mich nie recht erwärmen können. Und der VfL Wolfsburg erschien mir stets lediglich als die kleinbürgerliche Variante des Werkself-Fußballs von Bayer Leverkusen, die hochbezahlte Betriebssportgruppe des Volkswagen-Konzerns. Der selbst wiederum bestenfalls der mediokre Vertreter der deutschen Autobauergilde ist. Der Ballsportabteilung eines Konzerns, dessen Personalchef dem deutschen Sozialabbau seinen Namen verleiht, muss man nicht die Daumen halten. Das habe ich jahrelang standhaft vertreten.

Die Kollegen, die mir gelegentlich zuraunten, in Wolfsburg entstehe einer der modernsten Vereine der Liga, weit weg von jeglichem Wildmoser-tum, professionell geführt, mit einer vorbildlichen Öffentlichkeitsarbeit, habe ich mit einer gewissen Skepsis bedacht. Zu einem echten lebendigen Fußballverein gehören schließlich unabdingbar auch die Unzulänglichkeiten, der Skandal, der Muff, das Unvermögen, die Kungelei. Das alles geht dem VfL Wolfsburg ab. Sein sportliches Leitungspersonal heißt Wolfgang Wolf oder Erik Gerets, in der Außendarstellung kreuzbrave Abbilder der Arbeiterklasse in der Trainerbranche.

Das alles ist nun in keiner Weise vorwerfbar oder hinlänglich fürs Naserümpfen. Der VfL ist schließlich emsig dabei, sich Jahr für Jahr sportlich zu verstärken, er hat seinem Stadion ein absolut bundesligakompatibles Relaunch verpasst. Der Löwenanteil der Neuzugänge entpuppt sich alljährlich als tauglich. Am Samstag haben Neumittelstürmer Thomas Brdaric und Verteidiger Kevin Hofland schon bewiesen, dass das auch in diesem Jahr wieder so sein wird. Hinten hat der holländische Auserwählte Hofland seinen Gegenspieler-Riesen Jan Koller kurz und klein gegrätscht, und Brdaric hat humorfrei die zwei Bälle, die er vorne erhielt, schnörkellos versenkt. Ganz rational, ganz Wolfsburg.

Insofern ist der VfL möglicherweise der Ligavertreter, der die Zeichen der Zeit am besten erkannt hat und das beste aus seinen Möglichkeiten macht. Die Herzen wird dieser Verein nie bewegen. Dass jedoch zu erkennen, zu akzeptieren und als Reaktion darauf nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein gutes Produkt Fußball anzubieten, ist weit höher einzuschätzen als das, was vermeintliche Eventfabriken wie Hertha BSC oder der HSV einzulösen imstande sind.

Ich werde wohl in den nächsten Monaten ein paar Mal in Wolfsburg vorbeischauen.